Der Blick zurück aus dem Jahr 2122

von Gastautor Heinrich Bedford-Strohm, Landesbischof

Wie grundlegend diese Transformation sein wird, lässt sich deutlich machen, wenn wir uns einmal 100 Jahre in die Zukunft versetzen und uns eine Pressemeldung aus dem Jahr 2122 vorstellen, veröffentlicht im „Global Electronic Observer“, dem mit 2 Milliarden Abonnenten weltweit größten Nachrichtenmedium:
„Bei einer internationalen Konferenz im südafrikanischen CapeTown haben führende Historikerinnen und Historiker gestern eine neue Anstrengung zur Aufarbeitung der Geschichte des 21. Jahrhunderts gefordert. Dabei spielte auch der zerstörerische
Umgang mit der außermenschlichen Natur eine zentrale Rolle, der die Welt in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts fast in den Abgrund gerissen hätte.

Die australische Historikerin Irabinna Ngurruwutthun sprach über die ökologische Umorientierung im 21. Jahrhundert. Man könne sich heute gar nicht mehr vorstellen, welch massive Gewalt die Menschen zu Beginn des 21. Jahrhunderts der Erde gegenüber geübt hätten. Man habe damals im Hinblick auf viele im täglichen Leben benutzte Güter von „Abfall“ gesprochen. Man habe diese Stoffe vergraben oder verbrannt. Man habe zwar bei einigen Stoffen wie Glas und Papier schon mit Recycling begonnen. Die heute übliche komplette Wiederverwendung gebrauchter Güter habe man damals aber noch für zu teuer gehalten. In wenigen Jahrzehnten habe man damals Wertstoffe aus der Erde geholt, die in vielen Millionen Jahren entstanden seien. Die großen Umsiedlungsprogramme der letzten Jahrzehnte, bei denen Australien die Hauptlast getragen habe, seien durch die Klimaveränderungen nötig geworden, die sich im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts noch weithin ungebremst entwickelt hätten und den Meeresspiegel deutlich hätten ansteigen lassen. Viele hätten die vollständige Umstellung auf regenerative Energien, die Mitte des 21. Jahrhunderts weltweit abgeschlossen worden sei, damals noch für illusionär gehalten. Man habe einen Lebensstil gepflegt, der von Wasser- und Energieverschwendung geprägt gewesen sei. Nicht zuletzt durch historische Ereignisse wie den verbrecherischen Angriffskrieg Russland gegen die Ukraine, den damit verbundenen weltweiten Boykott russischen Erdgases und den daraus erwachsenden Rückenwind für eine beschleunigte Umstellung auf regenerative Energien, vor allem aber durch die weltweit gut organisierten zivilgesellschaftlichen Bewegungen des frühen 21. Jahrhunderts habe sich ein grundlegender Bewusstseinswandel vollzogen. Heute könne sich kaum jemand mehr vorstellen, warum die Menschen damals ein Leben mit immer mehr Konsum für erstrebenswert gehalten hätten. Das müsse auch der heutigen Generation eine Lehre sein, um Trägheit im Denken zu überwinden.

Auch verschiedene andere Diskussionsbeiträge der Tagung plädierten dafür, Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Achtung vor dem Menschen und Achtung vor der Natur könnten heute besser miteinander verbunden werden als je zuvor in den letzten Jahrhunderten. Das 21. Jahrhundert habe in der neueren Geschichte eine besondere Stellung, nur zu vergleichen mit dem Zeitalter der Reformation in Europa. Damals seien politische und religiöse Konstellationen entstanden, die Jahrhunderte nachgewirkt hätten. Das 21. Jahrhundert könne als Zeitalter der weltweiten „Transformation“ bezeichnet werden, das den Durchbruch zu einer echten Weltgesellschaft gebracht habe.“

Soweit die Pressemeldung aus dem „Global Electronic Observer“ des Jahres 2117. Sie macht deutlich: Manchmal können wir erst durch Distanz zum Gewohnten und Selbstverständlichen die Unselbstverständlichkeit, in der wir leben, verstehen. Wenn wir – je nach Glaubensüberzeugung nur vor unseren Enkelinnen und Enkeln oder vor dem Richterstuhl Gottes – dereinst über unser Leben Rechenschaft ablegen werden, dann werden wir nicht nach der Höhe unseres Bankkontos gefragt werden, auch nicht, wieviel PS das Auto hatte, mit dem wir gefahren sind. Aber ob wir uns für die Armen eingesetzt haben und ob wir verantwortlich mit der Natur als Schöpfung Gottes umgegangen sind, das werden wir gefragt werden. Die Menschen, die jetzt politische Verantwortung tragen und diejenigen, die sie wählen oder nicht wählen, werden diese Frage gestellt bekommen.

Ich möchte, dass die Menschen in 100 Jahren so zurückschauen, wie es die Pressemeldung aus dem Global Electronic Observer beschreibt. Ich sehe viele Anzeichen des Umdenkens, die Anlass zur Zuversicht gehen. Wir wissen nicht, ob und wann wir mit unserem Eintreten für eine ökologische Transformation erfolgreich sein werden. Aber wir wissen, dass wir dafür einzutreten gerufen sind. Warum wir unabhängig vom Erfolg handeln, hat der evangelische Theologie Dietrich Bonhoeffer, der von den Nazis kurz vor Ende des Krieges als Widerstandskämpfer hingerichtet wurde, einmal so ausgedrückt: “Wenn morgen der jüngste Tag anbricht, dann wollen wir gerne die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen. Vorher aber nicht.“

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Haibischl