Gastautor: Norbert Kober
„Es war einmal ein alter Bienenwagen. Er tat fleißig Dienst im fernen Mecklenburg. Siebenunddreißig Bienenvölker und siebenunddreißig Königinnen lebten darinnen. Und Sie lebten gut. Der alte Imker fuhr mit ihnen von Tracht zu Tracht – von Festmahl zu Festmahl. Von April bis September besuchte der Wagen mal den Raps, dann die Linden und Tannen, dann die blühenden Wiesen des Seenlandes.
Eines Tages aber konnte der Imker seine vielen Bienen nicht mehr durchs weite Land fahren und er beschloss die Bienenvölker zu verschenken und den alten Bienenwagen einem Bauern als Hühnerstall zu überlassen. Ein paar Jährchen wird er wohl Herberg für diese sein können, ehe er als Brennholz endet. Da kamen zwei Freunde des Weges, deren Namen bekannt sind, aber nicht verraten werden. Es waren zwei Poeten. Und Poeten hatten es nicht immer leicht in Mecklenburg – herrschte dort zu jener Zeit doch ein wirrer König aus dem fernen Russland. Die beiden sahen den verlassenen Wagen und hatten eine Idee. Von außen ist es ein Bienenwagen – aber kann er nicht von innen eine Schreibklause sein? Ein Ort, an dem die beiden Freunde ihre Gedichte und Texte lesen können, ohne dass jemand mitlauscht? Kann der Wagen nicht einfach auf Wiesen und in Wäldern stehen, wie er es immer tat? Ist ein Bienenwagen nicht ein guter Zufluchtsort für die Künste? Und so geschah es, dass die Honigschleuder einem Schreibtisch wich, dass aus den kleinen Lichtspalten Fenster wurden, dass in den siebenunddreißig Holzkästen nicht Wachswaben sondern Bücher standen.
So ging es viele Jahre und viele Literaten lernten den Bienenwagen kennen und lieben. Dann verließ der ferne König des Ostens dieses kleine Land und unsere Poeten brauchten kein Versteck mehr. Sie brauchten auch den Bienenwagen nicht mehr. Sie wollten den Wagen verkaufen – aber nur an einen Poeten. Da kam ein schneidiger Junker des Wegs. Klaus war sein Name, und er war und ist ein Poet. Sein schönstes Buch heißt „Der Wagen. Auf der Suche nach dem verlorenen Sohn“. Und so verließ unser Bienenwagen das ferne Mecklenburg und wanderte ganz langsam (25km/h) quer durch deutsche Lande bis er im bayerischen Allgäu ankam. Dort legte der Wagen, dank Klaus, sein unscheinbares, tarnendes Äußeres ab und wurde bunt. Bunt, ja bunt war wohl die Lieblingsfarbe von Klaus. Uns so lernte ich den Wagen kennen. Ein schönbunter Mensch in einem schönbunten Wagen. Ein Freund wurde mir Klaus und als er den Wagen nicht mehr halten wollte, da hab ich allen schnöden Mammon den ich damals hatte zusammengelegt, Freunde um Kleinkredite gebeten, mein altes Motorrad verkauft und den Wagen erworben. Dann kamen sehr lebendige Zeiten für den alten Wagen. Eine neues Dach, ein neuer Holzboden, ein schöner Ofen für kaltes Wetter, Oberlichte für heißes Wetter, eine kleine Küche, ein Waschbecken, ein großes Bett zum Wiederwegräumen tagsüber – kurz, ein kleines Haus ist’s geworden. Jedes meiner Kinder bekam ein eigens Fach, und in klaren Nächten konnt man grad durch die Oberlichte die Sterne sehen.
Früher mal glaubte man, dass es nicht Sterne sind, die da funkeln, sondern kleine Löcher im Himmelzelt, durch das das Licht des Göttlichen zu uns Menschen durchscheint. Vielleicht ist es ja auch so? Dann machte unser Wagen wieder eine Reise – ins Frankenland, nach Dinkelsbühl. Dort hat er eine schöne Heimstatt gefunden. Ein riesiger Waldgarten nicht weit von der Stadt Dinkelsbühl entfernt. Im letzten Jahr wurde dann ein eigener Brunnen gebaut und nun ist die Goldmund-Bibliothek darin eingezogen. 308 feine Bände die wir über die letzten 18 Jahre gesammelt haben, sind darin zu finden. Eva Henke, eine wunderbare Erzählerin, hat die Bücher geordnet, beschriftet, umhütet. Wir tauften den Wagen „Goldmund Bienenwagen Wohnbibliothek“, denn er soll nun wieder ein Ort der Begegnung wie auch ein Ort des Rückzugs für uns mündliche Goldmund-Poeten sein. Auf dass diese Geschichte gut weitergehe.“