Die Wässerung – Teil 2

Die Wässerung – eine zentrale und nachhaltige Kulturtechnik in der alten europäischen Kulturlandschaft
(Text: Karel Kleijn, Stand Dezember 2020)

Beendung der Wiesenwässerung
Die Gründe für die ehemals weite Verbreitung und der vielfach großflächige Einsatz von Wässersystemen in der Landwirtschaft dürften klar sein. Sie erhöhten die Produktion und ermöglichten die Nutzung von Grenzertragsstandorten. Mehr und qualitativ besseres Futter auf Grünland verbesserte das Düngerangebot für die Ackerflächen, das von Anfang des Ackerbaus das Nahrungsangebot der Gesellschaft beschränkte. Der Rückgang der Wässerung erfolgte ab Anfang/Mitte des 20. Jahrhunderts schnell und hatte eine Reihe von Gründen. Zunehmend war weniger die Produktion, sondern die Produktivität für die Landnutzung entscheidend. In Gebieten mit stark Markt orientierter Produktion und einem hohen Anteil an bau-, betriebs- und wartungsintensiven modernen Wässersystemen setzte der Rückgang oft schon Ende 1800 ein. In Mittelgebirgen und Gebirgen mit vielen Selbstversorgungsbetriebe und naturnahen, mit bewältigbarer Handarbeit, betriebenen Systeme konnten sich Reste der Wässerung bis heute halten. Entscheidend war auch das Ausmaß der Abwanderung von Landarbeitern in Städte, Industrie und Bergbau. Im Bayerischen Wald gab es vorwiegend naturnahe Wässersysteme. Die Marktorientierung (Qualitätsvieh für die Regionalmärkte, Obst, verarbeitete tierische Produkte und Kleinvieh für die Lokalmärkte) profitierte lange von der hohen Produktivität der Wässersysteme und der zunehmende Landarbeitermangel traf nur Betriebe, wo die Familie zu klein war für arbeitsintensive Nutzungen wie Obstbau, Produktveredlung (wie Produktion von Brot, Butter und Geräuchertes), und eben auch die Wässerung. Es wundert nicht, dass die Dichte an Wässersystemen in Lallinger Winkel, Graflinger Tal und im Schmalzdobl von Ringelai sehr hoch ist, Räume wo die Marktorientierung schon früh sehr stark war.

Ein Hauptgrund für das Beenden der Wässerung war die Mechanisierung der Landwirtschaft. Die Wässerung von Ackerlagen im Mittelmeerraum und der Obstbaugebiete (in z.B. Tirol) erfolgen nun mit Sprühanlagen. Im Grünland erschwerte das dichte Grabensystem die maschinelle Ernte. Die Anlage eines Netzwerks neuer Wege in Wald und Offenland führte zum Verlust der Durchgängigkeit der teils kilometerlangen Transportkanäle und legte viele Wässeranlagen trocken. Auch Unterhalt der Kanäle und Entwässerung der Wässerflächen wurde zunehmend ein Problem, wenn dazu die benachbarten Flächen benötigt wurden und auf diese die Wässerung eingestellt worden war, oder wenn Nachbarflächen wegen angrenzender Wässerflächen nicht mit der Maschine erreichbar waren. Ein Problem war auch der Wandel der Nutzung der Wasserkraft, von einer auf Bedarf abgestimmten Nutzung für Mahl-, Säge- oder Hammerbetrieb, hin zu Stromerzeugung in Dauerbetrieb. Eine Wässerung konnte dann nicht mehr konfliktarm betrieben werden. Wasserverluste bei der Wässerung führten vor allem zu Rentabilitätsverlusten der Stromerzeugung. In Gebieten mit großflächiger genossenschaftlich organisierter Wässerung dauerte der Betrieb der Wässerwiesen etwas länger. Dort wo, wie im Bayerischen Wald, von Einzelnen betriebene Kleinanlagen dominierten, oder Großanlagen ohne gut geordnete Organisationsstrukturen, führten derartige Probleme schnell zur Aufgabe der Wässerung. Die Wässerung war dort nicht wesentlicher Teil des Gemeinschaftslebens, mit gewähltem Sachwalter, traditionelle Veranstaltungen, und eine Bindung an die gemeinsame Brauch- und Trinkwasserversorgung. Auch bei gut organisierten großen Wässersystemen führte die Umstellung auf Stromerzeugung oft zur Aufgabe der Wässerung. In der Neuzeit spielen alte Rechte zur Wässerung und somit Wasserausleitung noch immer eine Rolle bei Genehmigungsverfahren für neue Wasserkraftwerke.

Wässerwiese neben dem Märchenwald und oberhalb vom Bohlenweg am Wässergraben, der zum Kneipp-Becken führt
Wässerwiese neben dem Märchenwald und oberhalb vom Bohlenweg am Wässergraben, der zum Kneipp-Becken führt

Landschaftsökologische Bedeutung der Wässerung
Bisher lag die Betonung auf der Wässerung als produktionssteigernder Faktor in der Landwirtschaft. Ebenso bedeutend war der Beitrag bei Hochwasser- und Erosionsschutz sowie Trinkwasserversorgung. Die Auswirkung auf den Wasserhaushalt über die hohen Verdunstungsverluste  der Wässerwiesen und die dadurch abkühlende Wirkung und gesteigerte Bildung von Nebel, Tau, Reif und lokale Sommerniederschläge wurde schon hingewiesen. Genauso wichtig wie der Einfluss dieser kleinklimatischen Änderungen ist die – infolge von der Fassung von Quellen und kleinen Rinnsalen und Bachausleitungen – erweiterte Fläche mit Wasserpufferung und Grundwassereinspeisung. Das führte zu einer wesentlichen Verlängerung von Aufenthaltsdauer von Wasser in der Landschaft, steigerte die Zahl der Quellen, erhöhte ihre Schüttung und Schüttungssicherheit. Die Wässerung ermöglichte in vielen Gebieten die Versorgung von Siedlungen und Einzelanwesen mit Trink- und Brauchwasser (z.B. für die Gartenwässerung). Die Beendung der Wässerung hat auch im Bayerischen Wald zu Problemen mit der Versorgung durch Hausbrunnen geführt. Vielsagend ist auch der Schwund der einst verbreiteten Waldsimsenbestände Ende des 20. Jahrhunderts. Längst nicht immer war für den Schwund dieser von flächig austretendem Quellwasser abhängige Art Dränmaßnahmen verantwortlich, sondern trockneten Lebensräume aus, durch Beendung der Wässerung oberhalb gelegener Flächen. Das ist ein schleichender Prozess, wobei vor allem nach extrem schneearmen Wintern oder trockenen und warmen Sommer auch ein plötzlicher Verlust an Quellaustritt möglich ist. Das Gleiche gilt für viele Anmoor- und Moorgebiete. Auch hier wurde die Entwicklung an vielen Stellen von für die Wässerung mit kilometerlangen Gräben zugeführtem Wasser geprägt, und reicht das verbleibende Lokalwasser in Menge und Qualität nicht aus diese Flächen in Ausmaß und Qualität zu erhalten oder sogar wieder zu beleben. Ein wesentlicher Nutzen der Wässersysteme bestand aus der Entschärfung der Hochwasser- und Erosionsgefahr. Die gleichmäßige Verteilung des Wassers wurde auch gezielt genutzt, um Hangrutschungen und Schäden durch schwer zu bändigende Hangbäche zu entschärfen, mit gezielter Ausleitung und Verteilung über hangparallel gelegte befestigte und sorgsam gepflegte Gräben und Kanäle.

Wässerwiesen als Lebensraum
Wässerwiesen zeichnen sich aus durch ein Feinmosaik unterschiedlicher Wasserhaushalts-, Boden-, und mikroklimatischer Verhältnisse. Dieser ergibt sich aus den ursprünglichen Standortbedingungen, die Änderungen durch Bau, Pflege und Betrieb der Systeme (Planierung, Bau- und Unterhalt der Gräben und Schwemmen/ Überleitungs-,Verteil-, Stau-, Ausleitungsbauwerke), Sedimente, Entsäuerung bei guter Entwässerung, Versauerung und Vermoorung in Restbereichen mit Staunässe). Vor allem die Bodenbildungsprozesse führten zu ständigen Verschiebungen im Mosaik. War bisher vor allem die Rede von Unterschieden innerhalb der Wässerflächen so gab es erhebliche Unterschiede zwischen den Systemen. Entscheidend waren Lage (Hang- oder Tallage, Mineral- oder Moorbereich, Exposition, Höhenlage), Nutzung (Wiese/Heuweide/Weide/integrierte Ackernutzung, Weide-, Mähzeit und -frequenz ) und Betriebssystem (Hangrieselung/ Rückenwässerung/ Staubetrieb, Wässerperioden, -Dauer. -Frequenz). Wesentlich sind natürlich auch Unterschiede in der Qualität des Wässerwassers (Mineral-, Schwebstoffgehalt, Temperatur, Zugabe und Menge an Düngemitteln).

Die hohe Standortvielfalt  führte zu einer hohen Artenvielfalt, und das nicht nur an Ganzjahresbewohnern, sondern auch an saisonalen Gäste (Jagdgebiet Kreuzotter, Laichplatz Frösche, Brutplatz Wiesenbrüter, Winteräsung Hühnervögel, Feldhase). Wie viele andere über das ganze Jahr produktive und strukturreiche Feuchtgebiete, aber auch naturnahe Extensivweiden oder Altwälder in der Klimax- oder Zerfallsphase,  hatten die Wässerflächen eine große Bedeutung als Ergänzungs-/ Teillebensraum für Arten, die ihren Lebensschwerpunkt in anderen Regionen und/ oder Lebensräumen haben. Im Bayerischen Wald wurde die Artenvielfalt noch dadurch verstärkt, dass der Raum im Sommer genutzt wurde als Durchzugsgebiet und Sommerweide für den Rindertransport aus dem Alpenraum und Ost-Europa zu den Ballungsräumen in West-Europa. Das dürfte über den Samentransport wesentlich zu einer vorübergehenden oder bleibenden Ansiedlung neuer Pflanzenarten geführt haben, vor allem an Standorten mit hoher Standortvielfalt, wie bei den Wässerwiesen. Der Artenrückgang im Bayerischen Wald ab Mitte des 20. Jahrhunderts erfolgte nicht nur durch Intensivierung der Grünlandutzung mit Intensivmahd,  Einsatz von Pestiziden und Überdüngung, sondern im Wesentlichen  durch eine Nutzungsänderung auf der Gesamtfläche. Vor allem die der extrem artenreichen Wässerwiesen und Extensivweiden, mit Flächenanteilen von 20 bis 40 % des Offenlandes bei den Wässerwiesen und ein ähnlicher Anteil der Gesamtfläche bei den Extensivweiden (in den Hochlagen mit Unterbringung der durchziehende Rinderherden deutlich mehr). Hinzu kommt die weitgehende Beendung der Ackernutzung, diesbezüglich die Umstellung auf Maisanbau. Der Ackeranteil lag bei 40 bis 60 % vom Offenland. Damit verschwanden auch die Feldgrasflächen, mit einem Wechsel in Acker- und Grünlandnutzung, die in den ersten Jahren der Wiesenphase, durch die Einsaat mit Samen von Heuboden, die klassische Blumenwiesen bildeten. Auch die Äcker waren durch Extensivdüngung und auf Saatgutreinigung und Bodenbearbeitung beschränkte Unkrautbekämpfung artenreich, was sich auch dadurch zeigt, dass Arten wie die Kornrade bei Personen, die in ihrer Jugend diese Äcker erlebten, weit verbreitet bekannt waren. Das Ausmaß der landschaftlichen Änderungen zeigt sich auch darin, dass das Sammeln der Preiselbeere auf Extensivweiden bis Mitte des 20. Jahrhunderts ein verbreiteter Nebenerwerb war, belegt durch viele Bildbände aus dieser Zeit. Heute es ein Problem ausreichend Früchte für den Eigenbedarf zu finden. Die geänderte Nutzung erklärt noch immer bei vielen Arten den verzögerten Schwund, die Umstellung auf Intensivlandwirtschaft verhindert die Bildung von artenreichen Ersatzlebensräumen und verarmt diese, wo sie in der Umstellungszeit entstanden. Zwei Beispiele verdeutlichen dies. Das Birkhuhn dringt im Laufe des 18. Jahrhunderts aus den großen Moorbereichen des Böhmerwalds in den Bayerischen Wald vor. Der Grund waren die Öffnung der Grenzwälder durch intensive Holzernte, Windwürfe, Borkenkäfer, Waldweide und neue Siedlungen, und eine erhebliche Intensivierung der Wiesenwässerung. Die Änderungen der Landschaft lagen sicher in einer Größenordnung, wie wir sie heute erleben, und dürften Pate gestanden sein für eine Reihe düsterer Prophezeiungen aus diese Zeit. Das Birkhuhn wird zu einem typischen Bewohner des Raumes, bis zu dem Moment, wo die großen landwirtschaftlichen Änderungen ab Mitte 1900 einsetzen. Es sind die Änderung vom offenen Mehrnutzungswald in geschlossenen Hochforst, die scharfe Trennung vom neuen Forst und Moore von Landwirtschaftsflächen, der Verlust der hochwertigen Winteräsungsplätze (neben Stoppelfelder und Wintergetreide, vor allem Wässerwiesen ), die großflächige Entsteinung von Extensivgrünland und die erste Welle großflächiger Dränmaßnahmen der Kriegsjahre, die Bruterfolge schlagartig nahezu ausschließen. Der sichtbare Zusammenbruch gibt es erst in den 60er und 70er Jahren nach Überalterung der Bestände. Ähnlich verläuft der Schwund bei den einst verbreiteten Orchideenarten. Für die Arten, wo Wässerwiesen einen Schwerpunkt bilden, ändert die Beendung der Wässerung offensichtlich nichts, wenn nicht gleichzeitig Intensivmahd, Verfüllungen und Planierungen und Intensivdüngung erfolgen. Dass mit der Beendung der Wässerung die Samenkeimung, auf den nun trockenen, langsam versauernden, ausgehagerten von Rohhumusauflage bedeckten Standorten, ausbleibt, zeigt sich erst, wenn teils nach Jahrzehnten, auch bei gezielter Pflegemahd, Bestände, großflächig und im gesamten Raum durch Überalterung rapide zusammenbrechen.

Diesen Beitrag teilen mit:
Haibischl