Als erster Parteienzusammenschluss haben die Grünen Europaparlamentarier bereits im März ein Positionspapier zur Corona-Krise erarbeitet:
Selten zuvor hat eine Krise dieser Größenordnung in so kurzer Zeit so viele Menschen auf unserem Planeten getroffen. Es ist eine beispiellose Herausforderung für unsere Gesellschaften, der wir uns als Menschheit gemeinsam stellen müssen. Solidarität und ehrgeizige Zusammenarbeit, nicht Nationalismus oder Egoismus, werden dafür sorgen, dass wir gestärkt und klüger aus dieser Krise herauskommen. Wir dürfen niemanden zurücklassen und müssen uns dieser Krise mit offenen Herzen stellen.
Wir, die Europäischen Grünen und die Fraktion der Grünen/EFA im Europaparlament, tragen zusammen zur politischen Reaktion auf diese Pandemie bei. Gemeinsam,
– empfinden wir tiefes Mitgefühl mit all jenen, die von dem Virus infiziert wurden und um ihr Leben kämpfen, sowie mit ihren Familien und Freunden. Wir teilen die Trauer derer, die geliebte Menschen durch die Krankheit verloren haben.
– bekräftigen wir unsere Solidarität und unsere tiefe Wertschätzung für diejenigen, die ihr Leben bei der Behandlung der mit dem Virus Erkrankten riskieren. Der Beitrag, den sie für unsere Gesellschaften leisten, kann nicht hoch genug geschätzt werden. Ihr Einsatz darf und wird nicht vergessen werden. Ebenso können wir nicht genug allen Berufstätigen danken, die dafür sorgen, dass wesentliche Dienstleistungen aufrechterhalten werden, und dabei jeden Tag ihre eigene Gesundheit riskieren.
– begrüßen wir die Initiativen und kreativen Vorschläge der Menschen und der organisierten Zivilgesellschaft in der gesamten EU, die unseren Gesellschaften helfen, mit dieser neuen täglichen Realität zu leben. Wir schätzen auch die Rolle der lokalen Regierungen und Verwaltungen, die bei der Bewältigung dieser Krise vor Ort mitwirken.
– begrüßen wir die Zeichen der Solidarität, die wir zwischen Ländern und Regionen erleben. Gleichzeitig bedauern wir zutiefst die mangelnde Solidarität der EU-Mitgliedstaaten während dieser Krise. Insbesondere Italien, dessen Bitten nach medizinischer Unterstützung unbeantwortet bleibt, und Spanien, das ebenfalls stark von der aktuellen Situation betroffen ist, blieb notwendige und mögliche Hilfe versagt. Wir fordern alle Mitgliedstaaten sowie die EU-Institutionen auf, sich gemeinsam mit allen europäischen Staaten zu koordinieren, um einen möglichen Mangel an grundlegenden Gütern und Dienstleistungen zu vermeiden. Dazu müssen wir die Produktion und effiziente Nutzung medizinischer Versorgungsgüter europäisch koordinieren und den Austausch von Informationen und Fachwissen, wirtschaftliche Unterstützung sowie die Aufrechterhaltung des freien Warenverkehrs gewährleisten.
– Der Privatsektor hat hervorragende Beispiele für Reaktionsfähigkeit und Kreativität bei der Bewältigung der Krise gezeigt. Aber auch hier erleben wir Versuche, unangemessene Vorteile zu erziehen und die legitimen Ängste der Bevölkerung auszunutzen. Insbesondere lehnen wir alle Versuche der Massenerhebung personenbezogener Daten, sei es durch private oder öffentliche Einrichtungen, entschieden ab.
– erkennen wir an, dass die EU-Regierungen jetzt mit besten Absichten handeln, um den richtigen Weg zur Überwindung der Gesundheitskrise und ihrer sozialen und wirtschaftlichen Folgen zu finden. Überall dort, wo die Grünen in der Regierung oder in der Opposition sind, scheuen wir keine Anstrengungen, um zu den gemeinsamen Zielen beizutragen.
– sind wir jedoch sehr beunruhigt über die einseitigen Aktionen einiger EU-Regierungen, insbesondere im Hinblick auf die Notfallmaßnahmen. Jede Einschränkung der Grund- und Menschenrechte muss zur Lösung der Krise beitragen, in ihrer Dauer begrenzt sein und und verhältnismäßig sein. Wir sind sehr besorgt über die Versuche einiger Regierungen, politisch von der Pandemie zu profitieren. Die Krise darf nicht als Vorwand für den Abbau demokratischer Kontrollmechanismen und sozialer und Arbeitnehmerrechte missbraucht werden. Regierungen müssen weiterhin rechenschaftspflichtig bleiben, und außerordentliche Befugnisse dürfen nur in bester Absicht angewandt werden.
– begrüßen wir die bereits auf EU-Ebene von der Kommission und der EZB erklärte Zusage, „alles zu tun, was nötig ist“, um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser Krise zu mildern. Insbesondere begrüßen wir dies im Hinblick auf die Aussetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts sowie des Plans der EZB zur quantitativen Lockerung. Aber wir glauben, dass sie noch weiter gehen müssen. Insbesondere fordern wir finanzielle Unterstützung für die am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten durch Zuschüsse und zinsgünstige Kredite ohne politisch gefährliche Sparauflagen. Die Regierungen und die EU-Institutionen sollten dringend zusammenarbeiten und Eurobonds auflegen, um die erforderlichen Mittel für die Gesundheits- und Konjunkturpolitik aufzubringen.
– fordern wir die Mitgliedstaaten und die EU auch auf, sich zu koordinieren, um starke Maßnahmen zur Verhinderung massiver Arbeitsplatzverluste und zur Stabilisierung des Einkommens der besonders gefährdeten Arbeitnehmer zu ermöglichen. Für die Zeit unmittelbar nach der Krise brauchen wir ein Investitionspaket, das sich auf kleine und mittlere Unternehmen und Ein-Personen-Betriebe konzentriert. Es sollte dazu beitragen, unsere Wirtschaft auf die sozial-ökologische Transformation auszurichten.
– erkennen wir die globale Dimension dieser Krise und die Solidarität an, die die europäischen Länder bereits von vielen nicht-europäischen Staaten angeboten bekommen haben. Genauso darf die Solidarität der EU nicht an den Grenzen der EU enden. Die EU muss die notwendige humanitäre Hilfe und die besten medizinischen Ressourcen bereitstellen, insbesondere für die Länder des globalen Südens. Die EU muss die größtmögliche Zusammenarbeit mit der WHO und anderen internationalen Organisationen sicherstellen, um eine wirksame medizinische Reaktion zu entwickeln (Forschungszusammenarbeit für Impfstoffe usw.) und die Forschungsergebnisse zu teilen.
Unser gemeinsamer Kompass bei der Bewältigung der Krise sollte von folgenden Elementen geleitet werden:
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Wir müssen gemeinsam sicherstellen, dass niemand zurückgelassen wird, insbesondere nicht diejenigen, die am meisten von der Krise betroffen sind. In keiner Weise sollte unser Krisenmanagement Ungerechtigkeit und Ausgrenzung vertiefen. Wir sind insbesondere der Ansicht, dass die Bewältigung dieser Krise die EU und ihre Mitgliedstaaten sowie andere europäische Länder nicht daran hindern sollte, schnell und verantwortungsbewusst zu handeln, um die sich verschlechternde Situation in Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln zu lindern. Die Lager auf diesen Inseln müssen evakuiert werden, um einen sicheren Zugang zu Gesundheitsversorgung, Quarantäne und anderen geeigneten Maßnahmen gegen das Coronavirus zu gewährleisten.
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Eine wirksame, effiziente und dauerhafte Reaktion auf die Krise erfordert kollektives Handeln. Leben schützen heißt, engstirnige nationale oder wirtschaftliche Interessen hinter sich zu lassen. In diesem Sinne begrüßen wir die bisherigen Koordinierungsbemühungen der EU-Institutionen, erwarten jetzt aber eine größere Führungsrolle der EU-Institutionen.
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Um Antworten auf die Krise zu finden, müssen wir über den Tellerrand hinaus handeln und denken, insbesondere im Hinblick auf die makroökonomische Politik. Organisationen, Gesetze, Regeln und Verfahren müssen so gestaltet werden, dass sie dem Leben dienen, nicht umgekehrt.
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Öffentliche, kostenlose und gut finanzierte Gesundheitssysteme sind und bleiben ein Rückgrat unserer Wohlfahrtsstaaten. Die EU sollte sich um eine engere Zusammenarbeit zwischen nationalen Gesundheitssystemen bemühen und Mechanismen entwickeln, um sie weiter zu stärken. Wir wollen diese Krise zum Ausgangspunkt für mehr europäische Integration machen und uns auf ein stärkeres, grüneres und sozialeres Europa hinbewegen.
Lasst uns hier ganz deutlich sein: Die Art und Weise, wie wir mit dieser Krise umgehen, und unsere Fähigkeit, uns zu koordinieren und gegenseitig zu unterstützen, können entweder das europäische Projekt und unsere Demokratien, wie wir sie kennen, unwiederbringlich schädigen oder umgekehrt beides stärken.
Wir sind davon überzeugt, dass es nach Überwindung dieser Krise weder zu einem normalen Geschäftsbetrieb noch zu einem Alibi für eine strenge Austeritätspolitik kommen darf, wie dies nach der globalen Finanzkrise der Fall war. Wie der Klimawandel, der eine dringende und existenzielle Herausforderung bleiben wird, stellt die Pandemie die Art und Weise zutiefst in Frage, wie unsere Gesellschaften organisiert sind, wie wir auf diesem Planeten leben und eine Vielzahl konventioneller Politiken. Mehr denn je brauchen wir gemeinsam einen neuen Kompass. In dieser Perspektive verstärkt die COVID-19-Krise die absolute Notwendigkeit transformativer Initiativen wie eines mutigen europäischen Green Deals und massiver Investitionen in hochwertige öffentliche Dienstleistungen, vor allem im Gesundheitssektor. Nur dann wird diese Krise zu gerechteren, nachhaltigeren und demokratischeren Gesellschaften führen.