Premiere: Kürzlich wurde unter Kerzenschein eine 1. Lesung in der Ludwigsreuter Bücherstubn veranstaltet. Das Haus war gerammelt voll, d.h. zur Not hätten vielleicht noch 2 Stühle hineingepresst werden können!
Und dann, zu heißem Punsch und Tee wurden kleine und größere Geschichten vorgetragen: von der ergreifenden Kobold-Saga, einem „Verhör“-Beispiel aus „Der Weisse Neger Wumbaba“, einigen Anleitungen aus „Wie man Deutscher wird“, dem Gedicht und der Kurzgeschichte über ‚Hadern‘ aus „Kunterbuntes Ostbayern“bis zum Brief von Emerenz Meier. (Bis auf die Koboldsaga sind alle oben genannten Werke ab sofort in der Bücherstubn ausleihbar!)
Alles begann mit den „Rumpelwichten“, verfasst von der talentierten Tabea Bitterlich. Tabea hatte voriges Jahr für 6 Wochen als Praktikantin mit Karel Kleijn unsere Natur erforscht und mit unerwarteter Beobachtungsgabe Details aus dem Ludwigsreuter Alltag aufgenommen und in ihrer Erzählung von den „Rumpelwichten“ verarbeitet:
Achtung, Rumpelwichte!
von Tabea Bitterlich
Es waren einmal zwei Kobolde, die hießen Laut und Leise…
Doch halt! Mancher Leser wird nun vielleicht fragend die Stirn runzeln, deshalb zuallererst einige Anmerkungen zum Thema Kobolde.
Gleich vorweg: Eigentlich sind Kobolde nicht gerade unauffällige Gesellen. Ja, sie sind nicht einmal besonders klein, wie man es möglicherweise annehmen würde. Tatsächlich erreichen sie in etwa die Größe einer Katze (und sie sehen auch ein wenig so aus, jedenfalls die Ohren und Schnurrhaare) – wenn man sich vorstellt, eine solche würde sich jemals dazu herablassen, in aufrechter Haltung durch die Welt zu spazieren. Entgegen aller Vermutungen geben sie sich (meistens jedenfalls) nicht die geringste Mühe, leise und versteckt in der Gegend herumzuschleichen. Es gibt sogar einige unter ihnen (und zu dieser Gruppe zählt einer der zu Anfang genannten Kobolde), die machen so viel Krach, dass man sie eigentlich noch drei Dörfer weiter hören müsste.
Warum also wissen die Menschen nichts von der Existenz dieser Wesen? Unter all den wissenschaftlichen Veröffentlichungen, in denen Biologen tagtäglich neue Arten beschreiben, befindet sich kein einziges Papier, auf dem das Wort »Kobold« auch nur ansatzweise erwähnt wird – aber weshalb? Die Antwort ist ganz einfach: Aus dem selben Grund, aus dem es für die Menschen keine Drachen und Wassermänner gibt, keine Greife und Feen. Man sieht nur, was man glaubt zu sehen. Und wir Menschen haben uns schon vor langer Zeit verboten, an die Existenz solcherlei Wesen zu glauben. Doch das heißt noch lange nicht, dass es sie nicht mehr gibt! Lediglich die Kinder unserer Art sind anders. Sie sind noch leichter bereit, zu glauben, was ihnen die Märchen erzählen, und vielleicht, nur vielleicht, geschieht es von Zeit zur Zeit, dass ein Menschenkind einen Kobold zu Gesicht bekommt.
Nun wissen wir also, dass Kobolde in der Regel für uns Menschen unsichtbar sind (und im Übrigen auch unhörbar, sonst hätten wir wohl Schwierigkeiten, sie zu ignorieren). Was aber würden manche sagen, wenn sie wüssten, wie nah sie uns in Wirklichkeit sind? Tatsächlich liegen ihre Behausungen nämlich nicht weit von denen der Menschen entfernt. Dachböden, Keller, vergessene Schuppen – Kriterium ist eigentlich nur das Vorhandensein von Gerümpel und ein wenig Unordnung, Staub und Spinnweben. Der Leser wird mir wohl zustimmen, dass sich hier nicht wenige Möglichkeiten auftun!
Noch eine letzte Anmerkung, bevor es dann endlich mit der eigentlichen Geschichte losgeht: Im Grunde sind Kobolde friedliche Geschöpfe, die niemandem etwas zu Leide tun. Aber wehe dem, der einen Kobold verärgert! Denn erst dann wird aus dem Kobold ein Rumpelwicht…
Am Rande eines Dorfes, nahe der tschechischen Grenze im Bayerischen Wald, hausten einmal zwei Kobolde in einem kleinen Schuppen. Sie lebten dort schon viele Jahre in harmonischem Einvernehmen mit dem Menschen, der im nebenan gelegenen Haus residierte. Sie hätten sich auch wirklich kein besseres Heim aussuchen können, denn der Schuppen wurde schon lange nicht mehr genutzt und es gab immer reichlich Staub und Spinnen (mit denen unsere beiden Kobolde ein ausgesprochen freundschaftliches Verhältnis pflegten). Vielleicht ist es noch wichtig zu erwähnen, dass Kobolde normalerweise Einzelgänger sind, weil es zwischen diesen äußerst starrsinnigen Wesen sonst unweigerlich zu nicht enden wollenden Streitereien kommt. Die Kobolde unserer Geschichte hatten deshalb schon vor langer Zeit eine Abmachung getroffen, die es ihnen ermöglichte, einander nicht sehen zu müssen: Der eine Kobold war tagsüber auf dem Hof unterwegs und legte sich in der Nacht zum Schlafen in einen löchrigen alten Strohsack. Sein Name war Laut und das war auch seine bezeichnenste Eigenschaft, denn es gab nichts, was er tat, ohne ein solches Getöse zu veranstalten, dass einige der sensibleren Spinnen regelmäßig einen Umzug in Erwägung zogen. Das Vibrieren der Schuppenwände schüttelte sie in ihren Netzen nämlich so kräftig durch, dass manch einer schon schwindelig wurde. Aber es gab auch immer mindestens eine unter ihnen, die es genoss wie manche Menschen das Achterbahnfahren.
Während Laut also Krach machte ohne Ende, lag der andere Kobold – er hieß Leise – in seligem Schlummer. Sein Bett war eine staubige Holzkiste mit verzogenem Deckel. Vermutlich mochte er sie gerade deswegen so gerne. Kaum war Laut jedoch bei Anbruch der Nacht in seinen Strohsack geschlüpft, da sprang Leise aus seiner Kiste und begann, im nächtlichen Hof seine Runden zu drehen. Dabei bewegte er sich so behutsam, dass er nicht selten einen tief schlafenden Vogel halb zu Tode erschreckte. Tatsächlich war einmal eine Amsel vor Schreck von ihrem Ast gepurzelt.
Auf diese Weise verging Jahr um Jahr in einvernehmlichen Frieden. Auf lärmende Tage folgten flüsternde Nächte und die beiden Kobolde konnten sich kein schöneres Leben vorstellen. Auch der Mensch, in dessen Garten der Schuppen stand, war zufrieden, denn er wusste ja nichts von den heimlichen Untermietern seiner Hütte.
Vermutlich wäre es noch lange so weitergegangen, wenn nicht eines Tages ein Ereignis stattgefunden hätte, dass das Leben unserer Kobolde gehörig durcheinander bringen sollte…
Laut war gerade dabei, einigen Spinnen, die unter dem kleinen Dachfirst wohnten, eines seiner selbst gedichteten Lieder zu präsentieren. Die Spinnen, die im Gegensatz zu dem vor ihnen hockenden Kobold keine pelzigen Ohren besaßen, konnten natürlich nichts hören. Aber da Laut keine Grenzen kannte, was Lautstärke anging, spürten sie sehr wohl die Erschütterungen in ihren Netzen. Weil der Kobold auch ziemlich schief sang, war es nur das Wissen um die Launenhaftigkeit des Sängers, dass sie davon abhielt, in fliegender Hast das Weite zu suchen. Laut bildete sich nämlich einiges auf seine Gesangskünste ein und bislang hatte noch niemand gewagt, ihn in dieser Hinsicht zu desillusionieren.
Er fing also gerade mit der letzten Strophe an, als plötzlich ein Knarren ertönte und sich ganz langsam die Schuppentür zu öffnen begann. Erschrocken krabbelten die Spinnen nun doch in die Ritzen im Dachgebälk und der Kobold verstummte mitten im Wort. Während der Spalt, durch den Tageslicht in den dämmrigen Schuppen sickerte, sich immer weiter öffnete (langsam, denn die Tür war seit vielen Jahren nicht mehr benutzt worden), flatterte der letzte schiefe Ton wie ein verirrter Vogel noch eine Weile zwischen den Bretterwänden umher, bis auch er sich hinter dem Gerümpel verkroch.
Laut aber saß auf dem Fenstersims und blickte mit seinen flinken Äuglein auf die Sonnenstrahlen, die sich mit jeder Sekunde weiter in den Schuppen hinein tasteten. Seine Schnurrhaare zuckten verräterisch – ein sicheres Anzeichen dafür, dass etwas Weltbewegendes geschehen würde. Draußen ertönten nun Stimmen, Menschenstimmen, und dann ging die Tür mit einem Ruck vollends auf (jedenfalls wo weit, wie es die Stapel von verstaubtem Gerümpel zuließen). Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete der Kobold, wie zwei Menschen hereintraten. Den Mann kannte er gut – es war der Besitzer des großen Hauses nebenan – und auch die Frau hatte er schon öfter auf dem Grundstück gesehen.
Und dann ging es los. Die nächsten Minuten waren für Laut (das behauptete er jedenfalls, als er Leise später davon berichtete) die schlimmsten seines ganzen bisherigen Koboldlebens. Die Menschen fingen an, das Gerümpel fortzutragen! Stück für Stück wurde die Einrichtung seiner geliebten Wohnstatt nach draußen auf den Hof verfrachtet. Es war übrigens nicht so, dass er nicht versucht hätte, die Menschen daran zu hindern! Er schrie und tobte und umklammerte mit beiden Ärmchen seine liebsten Kisten, doch sosehr er auch zog und zerrte – es half nichts gegen die Stärke der Menschen. Und sein Getöse konnten sie ja ohnehin nicht hören.
Mit Entsetzen beobachtete er schließlich, wie die eifrigen Menschenhände der Rückwand des Schuppens – und damit der Holzkiste, in der Leise noch immer selig schlief – immer näher kamen. Er stieß einen Fluch aus, dass die Spinnen sich noch weiter in ihren Ritzen zusammenkauerten, und dann tat er etwas, das er noch nie getan hatte: Er sprang hinüber, um Leise zu wecken. Wie ein Verrückter trommelte er mit den Fäusten auf den staubigen Deckel der Kiste und brüllte dabei mit sich überschlagender Stimme: »Hey!!! Leise! Wach auf! Sie machen alles kaputt! Sie haben den Verstand verloren! Du musst aufwachen!!!«
Nun hatte Leise zwar in Anpassung an das tagtägliche Lärmen seines Mitbewohners einen gesegneten Schlaf entwickelt, doch wenn ein Getöse in der Stärke eines Jahrtausendunwetters direkt über einem niedergeht, fährt selbst ein Kobold wie von der Tarantel gestochen in die Höhe. Leise sprang so hastig auf, dass er sich den Kopf an der Decke stieß, in der festen Überzeugung, der Weltuntergang sei über ihn hereingebrochen – und so war es ja auch in gewisser Weise.
Zwei Sekunden später hatte Laut ihm alles berichtet und nun hockten die beiden Kobolde gemeinsam auf dem Fenstersims und sahen hilflos zu, wie auch Leises geliebte Schlafkiste durch die Türöffnung entschwand. Selbst der Staub musste weichen vor der Gewalt eines gigantischen Besens, und Leise, der nichts Schöneres kannte als das Glitzern großer Staubflocken im Mondlicht, wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel.
Die darauffolgenden Tage und Nächte waren für die Kobolde von Trauer und Entsetzen erfüllt. Ja, sie waren so niedergeschlagen, dass sie nicht einmal miteinander stritten und sogar Laut die meiste Zeit damit zubrachte, stumm in einer Ecke zu sitzen. Beide klammerten sich insgeheim an die Hoffnung, nach diesem Schlag könne nach und nach wieder so etwas wie Normalität einkehren. Doch da täuschten sich unserer Kobolde gewaltig, denn es sollte tatsächlich noch schlimmer kommen.
Die Menschen gaben sich nämlich nicht mit dem Leerräumen des Schuppens zufrieden – im Gegenteil! In den folgenden Wochen kamen sie immer wieder und mit jedem Mal hatten die Kobolde mehr Schwierigkeiten, in dem kleinen Häuschen ihren vergessenen Schuppen wiederzuerkennen. Sie fügten einen neuen Boden ein kamen mit Werkzeug und Pinseln, malten, bastelten und reparierten.
Irgendwann – unsere Kobolde sahen von einem Ast des nebenstehenden Baumes aus zu, wie ein aufwändig bemalter Schrank in ihren Schuppen getragen wurde – riss bei Laut, der ohnehin ein hitziges Temperament besaß, endgültig der Geduldsfaden. Er bekam einen solchen Wutanfall, dass der Baum vor Angst bis zu den Wurzeln erzitterte, er fluchte und tobte und schimpfte. Und während er sich immer weiter in seinen Zorn hineinsteigerte, nahm das Fell an seinen Ohren eine blutrote Farbe an. (Hier sollte der Leser wissen, dass die Rotfärbung der Ohrpartien als ein untrügliches Zeichen dafür gilt, dass man es nicht mehr mit einem einfachen Kobold zu tun hat, sondern mit einem Rumpelwicht.)
Als der Wutanfall endlich vorüber war, sagte Leise mit grimmiger Miene: »Laut! Wir müssen etwas unternehmen!«
Er hatte mittlerweile ebenfalls rote Ohren, denn nichts ist ansteckender als der Zorn eines anderen Kobolds, selbst für einen stillen Gesellen wie unseren Leise. Laut war natürlich sofort einverstanden. Er fing gleich wieder an zu toben und beendete seine Schimpftirade mit den Worten: »Das werden sie bereuen!«
Ja, sie sind wahrlich nicht zu beneiden, diese Menschen, denen ein Rumpelwicht Rache schwört…
Nun ist es so, dass das Treiben eines Rumpelwichts von Experten in drei aufeinanderfolgende Phasen unterteilt wird. Zunächst zeigt sich der Unmut der Wichte in eher harmlosen Streichen und oftmals merkt der Betroffene kaum etwas davon.
Unsere Kobolde hielten es genauso. In der nächsten Zeit waren sie nichtsdestotrotz eifrig bei der Sache. Sie ließen Schlüssel verschwinden, brachten Papierstapel auf Schreibtischen durcheinander und betätigten sich im Sockenklau. Doch all ihre Bemühungen waren vergebens: Ihr geliebter alter Schuppen verwandelte sich immer mehr in ein reinliches kleines Häuschen mit bemalten Fensterläden und Blumen auf dem Sims.
»Hässlich!«, meinte Laut verächtlich.
»Ein Albtraum!«, pflichtete ihm Leise bei, und beide waren so fest von ihrer Meinung überzeugt, dass sie nicht einmal den Versuch unternahmen, sich mit der veränderten Behausung zu arrangieren. So sahen sie auch nicht die Vorteile, die sich möglicherweise daraus ergeben könnten (weniger Staub bedeutete beispielsweise das Ausbleiben der Niesanfälle, denen beide Kobolde mehrmals täglich erlegen waren). Aber es ist ohnehin sinnlos, einem Rumpelwicht mit vernünftigen Argumenten zu kommen – allgemein hören Kobolde grundsätzlich nur das, was sie hören wollen, eine Fähigkeit, die auch Menschenkinder vortrefflich beherrschen.
Als unsere Rumpelwichte merkten, dass sie auf diese Weise nicht weiter kamen, beschlossen sie, zu drastischeren Maßnahmen zu greifen. Laut zum Beispiel bat einen befreundeten Biber um Hilfe. Dieser eifrige Geselle hatte eigentlich immer Hunger und so erklärte er sich gerne bereit, im Garten der Mittäterin ein wenig an den Bäumen zu knabbern.
Leise, der ja stets bei Nacht auf dem Hof unterwegs war, pflegte recht gute Kontakte zu den ringsum ansässigen Mäusefamilien. Bisweilen traf er sich sogar mit einigen von ihnen zum Kaffeeklatsch, um sich über die Neuigkeiten der Umgebung auszutauschen (um ein dem Leser vertrautes Beispiel als Vergleich heranzuziehen; selbstverständlich wurde dort kein Kaffee serviert!). Die Mäuse, die ohnehin oft von Langeweile geplagt wurden, waren sofort einverstanden, als Leise ihnen seinen Vorschlag unterbreitete. Auf winzigen Pfötchen machten sie sich sogleich an die Arbeit. Eine Delegation wurde zum weit entfernt gelegenen Haus der Mittäterin entsandt, während der Rest sich voller Freude dem unmittelbar vor ihnen liegenden Gebäude des Hauptfrevlers widmeten.
Der Mann hatte immer ein paar Mäuse im Haus gehabt, doch nun entwickelte sich das Ganze zu einer regelrechten Plage. Sie trippelten in den Zwischenböden umher, futterten sich durch die Speisekammer und raubten ihm mit ihrem Fiepen und Rascheln den Schlaf. Sie krabbelten in seine Stiefel und sprangen ihm sogar aus Einkaufstaschen entgegen.
Laut und Leise, die das Geschehen von ihrem Schuppen aus verfolgten, waren sehr zufrieden mit sich. Ja, sie fanden gar die Ruhe, die neue Einrichtung ihres Heimes endlich einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Es war nämlich noch etwas hinzugekommen: Eckige Gegenstände füllten nun die Regale, bemalt mit den unterschiedlichsten Bildern. Wenn man sie aufklappte, das hatte Laut bereits ausprobiert, purzelten einem Unmengen an winzigen, schwarzen Strichzeichnungen entgegen. Sie sahen aus wie die Abdrücke von Vogelkrallen im Schlamm, befand Leise. Keiner der Kobolde hatte auch nur die leiseste Ahnung, was das bedeuten sollte.
Die Menschen aber schienen viel davon zu halten. Eine ganze Versammlung war abgehalten worden und alle Menschen, groß und klein, hatten die Nasen in den Schuppen gesteckt, »Ah!« und »Oh!« gerufen und dem Mann und der Frau ihr Lob ausgesprochen. Und es schien, so seltsam es den Kobolden auch vorkam, als gelte die Anerkennung auch, oder vielleicht sogar ausschließlich, den rechteckigen Klappdingern.
Laut und Leise testeten gerade, ob sie sich wohl zum Verzehr eigneten (sie kamen zu dem Schluss, dass es durchaus Schmackhafteres gibt), als eine Gruppe aufgeregt fiepsender Mäuse herein polterte. Sie hätten den Biber getroffen, berichteten sie, und er sei gerade auf dem Rückweg gewesen und entschuldige sich aufrichtig, dass er nichts hatte tun können. Die Bäume waren nämlich schon am nächsten Tag vergittert gewesen, nachdem er eine Pappel angenagt hatte.
»Er hätte gleich alle Bäume fällen müssen, nicht erst vorsichtig knabbern«, murrte Laut. »Und warum seid ihr schon zurück?«, wandte er sich dann an die Mäuse.
Es gab ein großes Durcheinander, bis sie sich geeinigt hatten, wer denn nun erzählen sollte, und am Ende redeten doch wieder alle gleichzeitig los. Aus dem aufgeregten Chor piepsender Mäusestimmen war unter Mühen herauszuhören, dass sich die Mäuse nicht trauten, in dem Haus viel zu unternehmen. Dort hause nämlich ein schreckliches Monster.
»Monster! Pffh, so ein Unsinn!«, klagte Leise, während der letzte Mauseschwanz durch einen Spalt hinter dem Schrank verschwand. »Muss man denn alles selber in die Hand nehmen?«
Unsere Rumpelwichte machten sich also höchst selbst auf den Weg. Über endlose Wiesen trabten sie, sogar einen Bach mussten sie überqueren, und ihre bepelzten Füße wurden sehr müde dabei, denn sie waren es nicht gewohnt, so weit zu laufen.
Endlich am Ziel, kletterten sie durch ein geöffnetes Fenster ins Haus. Der erste Streich war rasch vollbracht. Kobolde gehören zu jenen Geschöpfen, die etwas beherrschen, was manche Menschen vielleicht fälschlicherweise als Zauberei bezeichnen würden. In Wirklichkeit handelt es sich dabei um eine spezielle Art der Kommunikation zwischen Lebewesen. In diesem Fall führte die Verständigung dazu, dass die Tomatenpflanzen, von der Mittäterin gewissenhaft gepflegt, sich einverstanden erklärten, ihre Energie ganz und gar auf das Höhenwachstum zu konzentrieren. Die Fruchtbildung jedoch sollte außer Acht gelassen werden. Die fleißige Gärtnerin würde sich später darüber ärgern, dass ihre (zugegeben sehr beeindruckenden) riesigen Pflanzen so gut wie keine Tomaten an ihren Zweigen trugen.
Nachdem dies also erledigt war, kletterten unsere Wichte wieder nach draußen und machten sich auf den Weg in den Garten. Und dann lag es plötzlich genau vor ihnen, das Monster.
»Ein Wolf! Rette sich wer kann!«, kreischte Laut und hüpfte vor Schreck einen halben Meter in die Höhe.
»Pssst!«, machte Leise ängstlich. »Du weckst ihn noch auf.«
Atemlos beobachteten die beiden das schlafende Tier. Es war groß und grau und wenn es im Schlaf grummelte, sah man die großen Zähne und… Ein Auge zuckte. Der Wolf wachte auf!
Die Kobolde warteten nicht ab, bis er sich auf die mächtigen Pranken erhoben hatte. Sie vergaßen ihre müden Beine und rannten so schnell sie konnten den ganzen Weg zurück, den sie gekommen waren, flitzten über die Wiesen und sprangen über den Bach. Kobolde können sehr schnell sein, wenn sie Angst haben, und diese beiden erreichten an diesem Tag eine rekordverdächtige Geschwindigkeit.
Sie brauchten den gesamten Nachmittag, um sich von diesem Schreck zu erholen.
»Kein Wunder, dass die Mäuse nicht bleiben wollten«, meinte Leise schließlich kleinlaut. »Wir hätten uns nicht über sie lustig machen dürfen. Ihr Monster existiert ja wirklich.«
»Ach«, erwiderte Laut selbstbewusst. »Sooo gefährlich sah es nun auch nicht aus. Ich hatte gar keine Angst, weißt du. Ich bin nur mit gerannt, weil du es so eilig hattest.«
Der Leser weiß mittlerweile genug über unseren Laut, um zu verstehen, weshalb Leise es vorzog, dieser Behauptung nicht zu widersprechen.
»Und ich weiß jemanden, der sich sicher auch nicht vor dem Monster fürchtet«, fuhr Laut fort. »Ihre Fische kann die Frau ja schlecht mit Draht umgeben, oder?«
So kam es, dass der Fischotter in dieser Nacht einen kleinen Abstecher zu jenem Garten machte. Die Sterne funkelten an einem wolkenlosen Himmel, während er am Rande des Weihers genüsslich den letzten Goldfisch verspeiste. Mehr gab es nicht, denn die übrigen Fische hatten schon bei einem früheren Besuch zwischen den spitzen Zähnen ihr Ende gefunden. Nun ja, dachte der Otter und machte sich mit knurrendem Magen auf den Weg zum nächsten Garten, in dem er einen Fischteich vermutete. Ich bin zwar bei weitem nicht satt geworden, aber was ist befriedigender als eine begonnene Tat zu vollenden?
Zur selben Zeit machten unsere Rumpelwichte eine Entdeckung.
Schon den ganzen Abend über waren sie nämlich nicht allein in ihrem Häuschen. Der Mann war gekommen wie so viele andere Menschen auch in den letzten Tagen. Er hatte mehrere der eckigen Dinger in die Hand genommen, sie auf- und wieder zugeklappt. Doch anders als die üblichen Besucher war er nicht wieder gegangen! Nein, im Gegenteil: Er schien hier übernachten zu wollen.
Seine neugierigen Zuschauer sahen, wie der Mann zunächst ein Paar weicher Pantoffeln anzog. Sie hatten sich insgeheim schon gefragt, weshalb die Menschen ihre Schuhe an einer Leine aufhängten, obwohl sie doch gar nicht nass waren. Aber bei dieser seltsamen Spezies wunderte sei eigentlich gar nichts mehr.
»Das ist schlecht«, stellte Leise mit gerunzelter Stirn fest. »Solche Schuhe ziehen Menschen nur dann an, wenn sie ein Haus in Besitz nehmen.«
»Unsinn!«, rief Laut und polterte mit den Füßen gegen den Schrank. »Sie tragen so was im Garten, wenn ihr Wecker kaputt ist! Es heißt, dass dieser Mensch hier verschlafen hat!«
Zwar gehörte Leise zu den eher friedlichen Gesellen seiner Art, doch auch er verspürte gelegentlich das Verlangen, seine Meinung vehement zu verteidigen. So kam es, dass die beiden sich eine halbe Stunde lang in bester Koboldmanier zankten und beschimpften, was beiden, wenn sie ehrlich waren, einen Heidenspaß bereitet.
Mancher Leser wird kopfschüttelnd die Augen verdrehen, denn als Mensch fällt es ihm natürlich nicht schwer, zu erkennen, dass beide in gewisser Weise mit ihren Behauptungen richtig liegen.
In der Zwischenzeit hatte der Besucher, der ja von dem Streit um sich her nicht das Geringste mitbekam, eines der eckigen Dinger aus dem Regal gezogen und es sich damit beim Schein einer Taschenlampe gemütlich gemacht. Nun starrte der Mann so konzentriert auf die purzelnden Striche, als gäbe es dort etwas ungeheuer Spannendes zu beobachten.
Schließlich gelangte auch der Streit unserer Rumpelwichte zu einem Ende und Laut und Leise wandten ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Gast zu. Eine Weile saßen sie still da und sahen zu, wie der Mensch in das Klappding starrte, und je länger sie ihn dabei beobachteten, desto ratloser wurden sie.
»Was tut er da eigentlich?«, fragte Leise irgendwann.
»Er ist verrückt, das sieht man doch!«, antwortete Laut verächtlich. »Menschen tun oft verrückte Dinge, weil sie dumm sind, Das hab ich ja schon immer gesagt.«
»Er liest«, meldete sich auf einmal eine helle Stimme zu Wort und erst jetzt bemerkten die Kobolde die Ratte, die auf der anderen Seite des Schuppens auf einer Zeitschrift hockte. Bislang hatte sie den zankenden Rumpelwichten keinerlei Beachtung geschenkt, doch nun wandte sie sich zu ihnen um und rückte mit strenger Miene ihre Brille zurecht. (Ja, lieber Leser, du wirst jetzt vermutlich sagen: »Brillentragende Ratten gibt es nicht!« Doch, die gibt es schon. Es kommt nur so selten vor, dass wir Menschen nie eine bebrillte Ratte zu Gesicht bekommen. Und wenn uns dann doch einmal eine über den Weg läuft, dann glauben wir an eine Sinnestäuschung.)
»Er tut was?«, fragte Leise.
»Wer bist denn du?«, fragte Laut.
Die Ratte wackelte tadelnd mit der Nase und schlang den Schwanz um ihre Pfoten.
»Ihr Kobolde habt einfach keine Manieren«, murrte sie. »Wisst ihr nicht, dass man sich zuerst einmal vorstellt?« Sie machte eine leichte Verbeugung, was, ehrlich gesagt, bei einer Ratte einen reichlich seltsamen Anblick bietet. »Gestatten: Haidi. Ich bin hier die regional und auch in besten Fachkreisen anerkannte Leseratte.«
Laut und Leise sahen sich verblüfft an. Von einer Leseratte hatten sie noch nie etwas gehört.
»Ich heiße Leise«, sagte Leise schließlich, »und das da (dabei stupste er seinen, nun, Freund ist vielleicht etwas übertrieben, mit einem pelzigen Finger in die Seite) ist Laut.«
»Ja, und was macht der Mensch nun da?«, erkundigte sich dieser ungeduldig, während den Schubs zurückgab.
Die Ratte schüttelte erneut den Kopf und zuckte missbilligend mit den Schnurrhaaren.
»Kobolde! Sagt bloß, ihr lebt in einem Haus voller Bücher und könnt nicht lesen!«
»Bücher?«, fragte Leise.
»Lesen?«, polterte Laut.
Seufzend winkte die Ratte die Kobolde zu sich heran.
»Seht mal her«, meinte sie, während sie zugleich unter gehöriger Kraftanstrengung eines der Klappdinger öffnete. »Dies hier«, sie klopfte mit der Pfote auf das Ding, ist ein Buch. Und das da«, sie tippte mit einer Kralle auf die schwarzen Strichmuster, »sind Buchstaben.«
»Und wozu ist das gut?«, wollte Laut wissen. »Zum Essen eignet es sich jedenfalls nicht. Viel zu zäh, wenn du mich fragst.«
»Essen?!« Die Leseratte schlug beide Pfoten über dem Kopf zusammen. Eine Weile schimpfte sie lauthals vor sich hin, so sehr entsetzte sie allein die Vorstellung. Unsere Kobolde ließen sie wüten. Besonders Laut hatte vollstes Verständnis, was spontane Wutanfälle betraf.
»Essen!«, murmelte die Ratte schließlich. »Ihr Kobolde habt wirklich Einfälle! Nein, Bücher sind etwas ganz anderes«, erklärte sie dann. »Aus diesen Buchstaben hier bauen die Menschen Wörter und aus den Wörtern Sätze. Viele Sätze ergeben eine Geschichte. Und in jedem Buch steht eine andere Geschichte. So einfach ist das.«
»Eine ganze Geschichte?«, staunte Leise. »Aber passt die denn überhaupt hinein in so ein Buch?«
»Deshalb hat man ja die Buchstaben. Das ist, als ob jemand vor dir sitzt und dir die Geschichte erzählt. Nur dass sie zwischen den Buchdeckeln sozusagen festgehalten wird und man sie sich wieder und wieder anhören kann.«
»Und man kann sie hören, indem man diese Buchstaben anstarrt?«, fragte Laut zweifelnd und beobachtete den Mann, der nach wie vor ganz versunken in sein Buch schaute.
»Nein nein!«, meinte die Ratte. »Die Geschichten muss man lesen. Dann hört man sie im Kopf, versteht ihr?«
Sie verstanden nicht. Aber sie wollten es natürlich auch können, das Geschichtenhören und das Lesen. Und so kam es, dass unsere Rumpelwichte in dieser Nacht ihre erste Lesestunde erhielten. Die Leseratte erwies sich als gute Lehrerin und Kobolde lernen allgemein deutlich schneller, als Menschenkinder es tun. Deshalb dauerte es gar nicht lange, bis sie begriffen hatten, wie es funktionierte. Und sie übten so fleißig, dass ein jeder Grundschullehrer die Ratte um ihre Schüler beneidet hätte.
Eines Tages saßen sie wieder einmal friedlich in ihrem Häuschen und lasen, während draußen die Blätter rauschten, gebeutelt von heftigen Windstößen, die den nahenden Herbst ankündigten. Ganz ruhig saßen sie da, ein jeder in sein Buch vertieft, als Leise plötzlich in die Stille hinein sagte: »Du Laut, weißt du was? Eigentlich ist unser Schuppen jetzt viel schöner als früher, findest du nicht?«
Laut sah von seiner Geschichte auf und dachte eine Weile nach, bevor er erwiderte: »Da hast du verdammt noch mal ganz Recht!«
Und damit war alles gesagt, was gesagt werden musste.
Hätten unsere Kobolde in diesem Moment einen Spiegel zur Hand gehabt und wären sie nicht so vertieft in ihre Bücher gewesen – vielleicht wäre ihnen etwas Entscheidendes aufgefallen: Die pelzigen Koboldohren leuchteten in der Abendsonne, die durch das Fenster blinzelte, in einem warmen Kastanienbraun.
Von diesem Tag an lebten in dem Häuschen nur noch zwei ganz gewöhnlich Kobolde. Und wer nach einem Rumpelwicht Ausschau hält – ja, der wird wohl keinen Erfolg haben.
Auf diese Weise kehrte endlich wieder Ruhe auf dem kleinen Hof ein. Laut und Leise fühlten sich sehr wohl in ihrer »Bücherstube«. Sie lasen, bis ihre Augen schon Glasig wurden und hatten sich insgeheim als die Hüter dieses außergewöhnlichen Ortes erkoren. Gelegentlich schaute Haidi, die Leseratte, bei ihnen vorbei und dann erzählten sie sich gegenseitig von den Geschichten, die sie zuletzt gelesen hatten.
Die Einteilung, wann wer aktiv wurde oder schlafen ging, gab es übrigens nicht mehr, denn Laut und Leise waren inzwischen gute Freunde geworden. Zwar sind Freundschaften bei den streitlustigen Kobolden eine seltene Sache – aber wenn sie erst einmal geschlossen werden, dann halten sie meist ein Leben lang. Bei Kobolden heißt das: eine halbe Ewigkeit. Sie werden nämlich so alt, dass sie den Bäumen beim Wachsen zusehen können.
Und die Mäuse? Die hätten jetzt natürlich wieder in ihren Alltag zurückkehren können. Allerdings hatten sie solchen Gefallen daran gefunden, den Menschen die wildesten Streiche zu spielen, dass sie gar nicht daran dachten, in nächster Zeit wieder damit aufzuhören. Außerdem nahte der Winter und in den Häusern der Menschen war es doch so viel wärmer…