Ein Aufruf zum Umdenken von Gastautor Thomas Zipp
Die Entwicklung einer Wolfspopulation im Böhmerwald ist mittelfristig zu erwarten; ein erstes Wolfsrudel ist nachgewiesen.
Infolgedessen gibt es bereits jetzt in der Region eine sehr emotional geführte Debatte zum Thema „Wolf in der Kulturlandschaft“.
Zur Entschärfung dieser Debatte und zur konstruktiven Einbindung aller Beteiligten Guten Willens, sowie insbesondere auch des gutwilligen Teils der Jägerschaft, wird folgender Vorschlag unterbreitet:
Alle Freunde eines lebensvollen Grünen Herzens in der Mitte Europas sollten sich zusammentun und in den gesamten bayerischen, österreichischen und tschechischen Hochlagen des Böhmerwaldes rund um die beiden grenzüberschreitenden Nationalparks zugunsten der Akzeptanz von Luchs und Wolf eine längerfristige Aussetzung der Jagd auf Reh und Rothirsch erwirken.
Eine Aussetzung der Bejagung vorrangig auf allen Flächen der beiden Nationalparke (240 qkm in Bayern + 680 qkm in Tschechien = 920 qkm), darüber hinaus aber auch auf den Flächen der Bayerischen Staatsforsten und des Schlägler Klosterwaldes (ausgenommen nur die privaten Wirtschaftswälder).
Das ergibt zusammen über 1.000 qkm Schutzgebiets-Fläche für Wölfe.
Alle genannten Institutionen tragen die höchste Verantwortung in der Region, wenn es um das Lebensrecht speziell der Großen Beutegreifer, darüber hinaus aber auch aller in der Nahrungspyramide „nachgeordneten“ Tier- und Pflanzenarten geht, die von den „Großen“ profitieren.
Angesichts dessen, was der Bevölkerung im Umfeld eines Wolfsvorkommens an Toleranz und speziell den Weidetierhaltern an Schutzmaßnahmen für ihre Herden abverlangt wird, sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass in den staatlich und kirchlich verwalteten Wäldern im hohen Böhmerwald dem Wolf ein Optimum an Beutetieren zur Verfügung steht und damit der Druck auf die Weidewirtschaft vorerst auf ein Minimum reduziert ist.
Beispielhaft muss das Signal gesendet werden, dass auch die Allgemeinheit (auf den besagten staatlich und kirchlich verwalteten Flächen) in Sachen Wolfszuwanderung einen markanten Beitrag zu leisten bereit ist.
Als vergleichsweise geringes Opfer sollte in den Hochlagen die Wildtier-Regulation in Zukunft also ausschließlich dem Wolf überlassen bleiben.
Wildtierregulation durch den Menschen zur Verhinderung von Wildschäden am Wald sollte hier kein Grund mehr für eine Fortsetzung der Bejagung des Schalenwildes (speziell der Rehe und der Rothirsche) sein, denn:
„Wo der Wolf jagt, wächst der Wald!“
Eine Fortsetzung der bisherigen Bejagung würde jedoch den Großen Beutegreifern eine gesicherte Etablierung auf gut 1.000 Quadratkilometern mit-teleuropäischen Lebensraumes grundlegend erschweren (und dieselben in die angrenzende Kulturlandschaft drängen), denn jedes von uns erlegte Wildtier ist eines zuwenig für Luchs und Wolf.
Es handelt sich aber bei der in Frage stehenden Region ohnehin schon größtenteils um Gebiete, die einer „ungestörten Naturentwicklung“ gewidmet sind.
Außer evtl. geringen forstwirtschaftlichen Einbußen spricht daher wohl nichts dagegen, wenn hier zukünftig den wichtigsten Beutegreifern im Ökosystem auch eine „ungestörte Beutetierpopulation“ zugestanden wird.
Konsequenter Schutz auf der einen Seite, erfordert Begrenzung auf der anderen Seite:
Speziell für den Wolf wird es – neben diesen oben beschriebenen potenziell-optimalen Kernlebensräumen in den Hochlagen des Böhmerwaldes – in Zukunft jedoch mit Sicherheit auch „No-Go-Areas“ geben müssen.
Diese werden sich in Regionen mit dichter Besiedelung, oder kleinteiliger Weidewirtschaft kaum vermeiden lassen.
Solche No-Go-Areas gibt es schon lange in den tieferen Lagen des Bayerischen Waldes für die Rothirsche.
Derartiges ist ökologisch keineswegs wünschenswert, aber, wie die
langjährige Praxis zeigt, zumindest praktikabel.
So wie es also eindeutige Grenzsetzungen für Rothirsche gibt, wird dies auch für den Wolf möglich sein – als Kompromisslösung und jedenfalls solange, bis zukünftig grundlegend neue „Umgangsformen“ mit unseren großen Wildtieren (vom Wolf bis zum Rothirsch) gefunden worden sind.
Vorerst aber wird nur eine solche Differenzierung in „Beutegreifer-Hot-Spots“ mit entsprechend reichem natürlichen Beutetierangebot in den bayerisch-österreichisch-böhmischen Hochlagen einerseits und der Möglichkeit einer Begrenzung und Steuerung im Bereich der unteren dichter besiedelten Lagen andererseits auf Dauer zu einer bereichernden Koexistenz mit dem Wolf führen können, wie wir sie uns doch alle wünschen!
Wenn es uns jedoch nicht gelingt, für eine echte und konfliktarme Integration des Wolfes in unseren Landschaften zu sorgen, dann gibt es womöglich zukünftig auf Grund eines Kippens der Stimmung in der Bevölkerung (am Ende sogar per Gesetzesänderung!) nur noch No-Go-Areas für Wölfe.
Und wie es in der Folge dann dem Luchs ergehen könnte, möchten wir sicher lieber nicht wissen.
Vorrangig gegenüber den Naturschutz-Institutionen, die für die Integration der streng geschützten Tierart Wolf zuständig sind, gleich danach aber auch gegenüber Forstbehörden und kirchlichen Institutionen, die ebenfalls zur Umsetzung von EU-Recht, bzw. der aktuellen päpstlichen Enzyklika („Laudato si’“), verpflichtet sind, ist es also notwendig, die einfache Wahrheit auszusprechen, wonach ein gedeckter Tisch auch bei Luchs und Wolf die Jungensterblichkeit verringert und die Überlebensfähigkeit der jeweiligen Populationen damit zudem fast beliebig gesteuert und stabilisiert werden kann.
Die Umsetzung dieser ökologischen Binsenweisheit ist das Gebot der Stunde, anderenfalls kann eine unprofessionell gemanagte Wolfszuwanderung vieles in Gefahr bringen, was in Jahrzehnten auf dem Gebiet des Naturschutzes mühsam erkämpft wurde.
Was ein aus ökologischer Sicht akzeptabel „gedeckter Tisch für große Beutegreifer“ ist, das kann im Schweizerischen Nationalpark anschaulich begutachtet werden. In diesem international herausragenden Großschutzgebiet gibt es bereits seit über 100 Jahren keine Bejagung von Wildtieren mehr, und durch diese konsequente Umsetzung des Prinzips von „Natur Natur Sein Lassen“ hat sich dort im Vergleich zum heutigen Nationalpark Bayerischer Wald dauerhaft ein ca. 10-20-fach höherer Wildtierbestand etabliert.
Ein Anschauungsobjekt mit ganz ähnlichen Verhältnissen – unter etwas anderen Rahmenbedingungen (höchste Wildtierdichten bei nachhaltig höchsten jährlichen Abschusszahlen) – findet man auch auf dem ökologisch absolut hochkarätigen Truppenübungsplatz Grafenwöhr in der Oberpfalz.
Fazit:
„Problemwölfe“ wird es vor allem dann geben, wenn wir sie dazu erziehen.
Es wird sie geben, wenn wir ihnen in ihren Kern-Lebensräumen durch zusätzliche menschliche Jagd die Nahrung streitig machen.
Und es wird Problemwölfe geben, wenn wir ihnen nicht unmissverständlich klarmachen, dass menschliche Siedlungen für sie tabu sind.
Der natürliche (menschlich unbeeinflusste) Wildreichtum auf 1000 qkm Böhmerwaldlandschaft ernährt aber leicht auch noch das Mehrfache der aktuell dort etablierten Beutegreiferpopulationen.
Allein diese Schutzgebiete sind somit also in der Lage, mit ausreichend großen Individuenzahlen die Überlebensfähigkeit dieser Populationen zu sichern.
Dieses Potenzial der Schutzgebiete gilt es in ökologisch vorbildlicher Weise zuerst auszuschöpfen, bevor die örtliche Bevölkerung in den privatwirtschaftlich genutzten umliegenden Gebieten an ihre Pflicht zur Toleranz und Integration der Großen Beutegreifer erinnert wird.
Nachsatz:
Prof. Dr. Bernhard Grzimek, einer der prominentesten Gründerväter des Nationalparks Bayerischer Wald, kündigte bereits am 29. Juni 1967 auf einer Großveranstaltung in Freyung vor 700 begeisterten Zuhörern, auf der Grundlage seiner eigenen weltweiten Nationalparkaktivitäten („Serengeti darf nicht sterben“) an, dass in einem solchen künftigen Nationalpark selbstverständlich keinerlei Bejagung von Wildtieren mehr stattfinden würde.
Heute, 50 Jahre nach dieser Ankündigung, passend sicher auch zum anstehenden 50-jährigen Jubiläum des Nationalparks Bayerischer Wald, ist der Zeitpunkt kaum besser zu treffen, um dieser Ankündigung jetzt endgültig zur nunmehr grenzüberschreitenden Umsetzung zu verhelfen.
Weiterführender Link: http://www.pro-nationalpark.de/seite114.html
Ich sehe die Problematik Wolf und Luchs genauso; solange das Schlagwort „Wald vor Wild“ in den Köpfen der Forstexperten herumgeistert wird das Überleben der Beutegreifer nicht gesichert sein.
Wir müssen bei der Jagd grundsätzlich umdenken, die Vorgabe von Abschusszahlen muss überdacht werden. Die Haltung von Rotwild im Wintergatter ist nicht unbedingt notwendig.
Der rigorose Abschuss von Schalenwild in den Staatsrevieren muss beendet werden, damit unsere Beutegreifer genug Nahrung finden.
Bei ausreichenden Beutetieren ist ein ausweichen auf Nutztierherden nicht mehr notwendig bzw. solche Angriffe werden sich auf ein Minimum begrenzen.
Für alle, die das Thema Wolf intensiver interessiert, möchte ich eine der regelmäßigen Sonntagswanderungen von Thomas Zipp ( Termine unter thomaszipp.eu) rund um den Dreisessel empfehlen!
War selbst bei der „Naturkundlichen Exkursion zu Wolf, Elch und Luchs“ dabei – es gibt davon im Haibischl auch einen Beitrag namens „Klasse Sonntag am Dreisessel“ unter Natur, Tipps.
Da kann man sich ausführlich erkundigen und auch offen diskutieren mit Thomas, der ja auch Jäger und Ziegenhalter ist..
Die im Artikel vertretene Ansicht kann ich nur voll und ganz unterstüzen.