von Hans-Josef Fell, Präsident der Energy Watch Group
Der Militärputsch im Niger hat die Sahelzone in Afrika weiter destabilisiert.
Mit Gewalt haben Militärs die demokratisch gewählte Regierung von Präsident Bazoum abgesetzt. Große Teile der Bevölkerung unterstützen dies jedoch.
Nachdem bereits in Mali und Burkina Faso durch Militärrevolten demokratisch gewählte Regierungen beendet worden sind, wird nun befürchtet, dass die von islamistischen Terrorgruppen überrannte Sahelzone noch stärker dem westlichen Einfluss entrückt. Die Ausbreitung des islamischen Fundamentalismus, gepaart mit dem Wirken von russischen Wagner-Soldaten, stellt eine bedrohliche Entwicklung für die Stabilität der Region und somit für die Wahrung der Menschenrechte dar. Es ist aber gut, dass sich die ECOWAS (Staaten der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft) nicht für eine kriegerische Intervention, wie ursprünglich angedroht, sondern für eine diplomatische Lösung ausgesprochen hat, um Niger wieder zur Demokratie zurückzuführen.
Jeder Krieg hätte die Sahelzone noch weiter in den Abgrund gestoßen.
Sichere Uranversorgung für Frankreichs Atomkraft?
Die große Frage ist jedoch, warum ein großer Teil der Bevölkerung des Niger einen gewalttätigen Militärputsch mit Abschaffung der Verfassung und damit der Demokratie unterstützt. Inwieweit die Atomkonzerne Frankreichs eine sich lange aufbauende Abneigung gegen Frankreich in Niger beförderten, wird aktuell in der Berichterstattung zum Militärputsch kaum analysiert. Dabei dürfte dies eine zentrale Rolle spielen. Die Berichte und Analysen dieser Tage erschöpfen sich meist darin, dass die Uranversorgung der französischen Atomkraftwerke nicht gefährdet sei. Dies ist eine gewagte Behauptung der französischen Atomwirtschaft, da etwa 25 Prozent des Urans für die AKW in Frankreich aus dem Niger stammen.
Über die großen Umweltschäden und die jahrelangen Proteste der Bevölkerung wird hingegen aktuell nicht berichtet. Dabei spielen sie eine zentrale Rolle, wenn die Abneigung der Bevölkerung in Niger verstehen möchte.
Es soll wohl seitens der französischen Atomkonzerne und deren Besitzer, der französischen Regierung, weiterhin der Eindruck erweckt werden, dass Atomenergie nicht nur sauber, sondern auch eine verlässliche und sichere Energiequelle ist. Doch der Militärputsch hat schlagartig gezeigt, dass die Uranversorgung Frankreichs und der EU insgesamt sehr abhängig von politisch instabilen und autokratisch regierten Ländern ist, wie zum Beispiel Niger, Kasachstan oder sogar dem kriegführenden Russland.
Von einer dauerhaft sicheren Uranversorgung kann also – allein aus geopolitischen Gründen – keine Rede sein. Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, dass die Brennelemente für die EU-Atomkraft immer noch größtenteils aus Russland stammen und somit hohe Kriegseinnahmen für Russland generieren – allen Boykottmaßnahmen des Westens zum Trotz. Gerade in der Atomwirtschaft führen Abhängigkeiten der Verbraucherländer von den Lieferländern dazu, dass alle anderen politischen Ziele und Prinzipien der Verbraucherländer der Beschaffung von Uran und Brennelementen untergeordnet werden.
Hohe Umweltzerstörung durch Uranabbau führte zu Protesten und Aufständen in Niger
Die in Niger beheimateten Tuareg gründeten im Februar 2007 die nigrische Bewegung für Gerechtigkeit und griffen in den Jahren 2007 und 2008 mehrere militärische Ziele in der Nordregion Nigers an. Ihre Forderung nach kollektiven Rechten als indigene Völker ergibt sich aus der Unterdrückung ihrer Rechte als Nomaden, zunächst während der Kolonialzeit und später durch den unabhängigen Staat Niger, der die Interessen der einstigen Kolonialmacht Frankreich, insbesondere im Uranbergbau, weiterführte (siehe International Journal for Social Studies, ISSN: 2455-3220, Volume 03, Issue 10, September 2017).
Im Jahr 2013 gab es dann Massenproteste der betroffenen Bevölkerung in den Uranabbaugebieten in Niger gegen das französische Atomunternehmen AREVA, das heute Orano heißt.
Kein Wunder – hat der Uranabbau im Niger doch zu riesigen Umweltzerstörungen geführt. So liegen im Niger 20 Millionen Tonnen von radioaktivem Abfall auf Halde. Sie werden als radioaktiver Staub von Winden aufgewirbelt, verseuchen Böden und Grundwasser und gelangen so in die Atemwege und das rare Trinkwasser in der Sahelzone. Insbesondere die radioaktive Verseuchung der schon seit Jahrhunderten von Tuaregs aufgebauten ausgeklügelten Brunnensysteme in der Wüstengegend ist existenzbedrohend – nicht nur für die Nomaden.
Zwei ehemalige Gewinner des globalen Nuclear Free Future Award, Bruno Chareyron von CRIIRAD und Almoustapha Alhacen von Aghirin’man, machten 2019 politische Entscheidungsträger in Frankreich und Brüssel auf die große Umweltverseuchung durch den Uranbergbau in dieser Wüstengegend aufmerksam. Sie taten dies auf Einladung von Michèle Rivasi, einer französischen Europaabgeordneten der Grünen-Fraktion und legten schlimme Fakten auf den Tisch. So ist in der Stadt Arlit mit 200.000 Einwohnern in der Nähe der französischen Uranminen die Sterberate doppelt so hoch, wie im Rest des Landes Nigers.
Atomenergie der verborgene Grund hinter dem Putsch von Niger?
Die jahrelangen Proteste der Tuaregs und anderer Volksgruppen im Niger gegen die durch Frankreichs Atomwirtschaft verursachten massiven Umweltzerstörungen haben nicht zu einem Ende des Uranbergbaus oder gar zu einer Schadensregulierung durch Frankreich geführt.
Dabei trägt der Uranabbau im bitterarmen Niger nur etwa 5 Prozent zum nationalen Bruttoinlandsprodukt bei. Über 50 Prozent des in Niger geförderten Uranerzes werden für die Befeuerung französischer Kernkraftwerke verwendet.
Frankreich hat also mit Uran aus dem Niger keinen „billigen“ Strom, doch der Bevölkerung im Niger bleibt die Armut und die radioaktive Verseuchung.
Da ist es kein Wunder, dass starke Antipathien, ja teilweise Hass gegen den ehemaligen Kolonialherren Frankreich im Niger weit verbreitet sind und sich sogar in Aufständen und Protesten manifestieren.
Dies mag eine der Erklärungen sein, warum den Putschisten im Niger eher Sympathien als Proteste aus der Bevölkerung entgegenschlagen.
Doch es ist mehr als fraglich, ob der Putsch nun wirklich zu einem Ende der Umweltzerstörung durch Uranabbau im Niger führt, wie die Washington Post hervorragend analysiert hat.
Denn neben Frankreich haben auch Russland, China, die USA und andere ihre Uranaktivitäten in Niger längst ausgeweitet.
Die radioaktive Verseuchung in Niger zeigt die Unverantwortlichkeit der Atomenergie auf
Es bleibt die Erkenntnis: Atomenergie ist unverantwortbar. Sie zerstört schon am Anfang der Versorgungskette massiv die Umwelt und die sozialen Strukturen in den Uranabbauregionen, ebenso wie am Ende, da bis heute kein sicheres Endlager für den produzierten Atommüll gefunden wurde.
Es wird Zeit, dass auch der bayerische Ministerpräsident Söder, der einst für den Merkelschen Atomausstieg kämpfte, sich dieser unverantwortlichen Umweltzerstörung bewusst wird. Er hat gerade erneut im Sommer-Interview der ARD die Rückkehr Deutschlands zur Atomenergie gefordert.
Woher das Uran dann kommen soll – aus dem Niger, Kasachstan, Russland oder anderen undemokratisch geführten Ländern – hat er jedoch nicht gesagt und genauso wenig hat er einen Standort für ein Atomendlager in Bayern angeboten. Verantwortungsloser kann Politik wohl nicht sein.