Von Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald
Millionenförderung aus Brüssel bringt Schub für Forschung, Umweltbildung und Naturschutz
Grafenau/Vimperk. Es wächst immer mehr zusammen, was zusammengehört. So kann man die aktuelle Kooperation der beiden Nationalparks Bayerischer Wald und Šumava auf den Punkt bringen. Gerade in jüngster Vergangenheit gehen die Nachbarn in fast allen Bereichen gemeinsame Wege. Viele der bereits umgesetzten oder angestoßenen Projekte verdanken die Schutzgebiete dabei der Europäischen Union. Allein von 2017 bis 2021 gab es Förderzusagen von über 7,3 Millionen Euro aus dem Interreg-Programm. Doch die Zusammenarbeit geht viel tiefer – bis hin zum gemeinsamen Grundverständnis des Leitmottos „Natur Natur sein lassen“.
„Gemeinsam können wir viel mehr bewegen als jeder für sich allein“, betont Nationalparkleiter Dr. Franz Leibl. „Deswegen gehören die Nationalparks Bayerischer Wald und Šumava schlicht zusammen.“ „Wir haben gemeinsame Themen und gemeinsame Ziele“, sagt auch Leibls tschechischer Amtskollege Pavel Hubený. Als Ganzes betrachtet sei man das größte Waldschutzgebiet in Mitteleuropa. Für die Idee des Prozessschutzes ein gewaltiges Pfund. „Ein intaktes Waldökosystem benötigt nicht nur Schutz, sondern auch Größe“, unterstreicht Leibl. Nur so könne man das wertvolle Mosaik der verschiedensten Waldentwicklungsstadien erhalten – für die Wald-Biodiversität eine überlebensnotwendige Voraussetzung.
Dank Geldern der Europäischen Union ließen sich viele Forschungsprojekte in beiden Schutzgebieten umsetzen, wie das Silva-Gabreta-Monitoring, dass die Biodiversität und den Wasserhaushalt im Blick hatte. (Foto: Matthias Rawohl)
Über 25.000 Hektar große grenzüberschreitende Jagdruhezone
Das Wirken der Nationalparks fußt auf dem Prinzip „Natur Natur sein lassen“. So greift der Mensch auf bayerischer Seite auf circa 72 Prozent der Fläche nicht mehr in die natürliche Waldentwicklung ein. Und auch im Nationalpark Šumava ist dank der Novellierung des Naturschutzgesetzes in Tschechien dieser Anteil im Jahr 2020 auf fast 28 Prozent gestiegen. Er soll allmählich weiter ansteigen. So wurden seitdem in den naturnahen Zonen, in denen nur noch marginale menschliche Eingriffe stattfinden, weitere 5500 Hektar Wald dem Prozessschutz überlassen. Höchsten Schutzstatus genießen gerade die Hochlagen zwischen Falkenstein, Rachel und Lusen. Hier gibt es mittlerweile eine über 25.000 Hektar große gemeinsame Jagdruhezone.
Zusammen wurde mit Hilfe der Förderungen beispielswiese auch ein sozioökonomisches Monitoring etabliert, bei dem etwa Besucherströme mithilfe von automatischen Zählgeräten für Wanderer und Radfahrer – wie eines auf diesem Bild aufgebaut wird – analysiert wurden. (Foto: Daniela Blöchinger/Nationalpark Bayerischer Wald)
Grundlage für das Management der Nationalparks sind zum großen Teil wissenschaftliche Erkenntnisse über die Biodiversität beidseits der Grenze. Um gewonnene Daten vergleichen zu können, laufen viele Forschungsvorhaben mittlerweile grenzüberschreitend mit denselben Methoden. Möglich macht das unter anderem die gute Fördersituation der Europäischen Union. So gab es in den abgelaufenen fünf Jahren aus dem Interreg-Topf Zusagen von über 7,3 Millionen Euro. Bei Gesamtkosten von knapp 8,7 Millionen Euro entspricht dies einer Förderquote von 85 Prozent. Dank dieser Mittel ist nun etwa das Wissen über die Pilz- und Pflanzenwelt, den Wasserhaushalt oder den Einfluss der Nationalparkbesucher auf die Natur gewachsen. Förderungen gab es aber auch im Bereich der Umweltbildung – so entstand ein Kinder-Erlebnisraum, die Waldwerkstatt, im Hans-Eisenmann-Haus bei Neuschönau im Rahmen eines deutsch-tschechischen Vorhabens mit Spiegelprojekt in Stožec.
Daneben beteiligen sich der Nationalpark Bayerischer Wald und weitere Partner gerade am „LIFE for MIRES“-Projekt unter Federführung des Nationalparks Šumava. Dabei werden vor allem auf tschechischer Seite Moore renaturiert. Knapp 6 Millionen Euro sind dafür veranschlagt, wobei die Europäische Union 60 Prozent beisteuert.
Die Landesgrenze, wie hier am historischen Grenzstein unterhalb des Lusens, ist für die Natur kein Hindernis. Zusammen sind beide Nationalparks das größte zusammenhängende Waldschutzgebiet Mitteleuropas. (Foto: Teresa Schreib/Nationalpark Bayerischer Wald)
Wegegebot zum Schutz der Auerhühner: Ranger gehen gemeinsame Streife
Möglich wird all dies durch einen fest etablierten regelmäßigen bilateralen Austausch zwischen den beiden Nationalparkverwaltungen. „Für mich steht die Aufrechterhaltung dieses offenen Verhältnisses mit dem gegenseitigen Vertrauen auch in Zukunft absolut im Vordergrund“, betont Šumava-Chef Pavel Hubený. Anfängliche Sprachbarrieren verschwinden zusehends, spätestens seit der Einstellung eines zweisprachigen Mitarbeiters im Sommer 2015, der zu gleichen Teilen bei beiden Verwaltungen tätig ist und die Projekte koordiniert, übersetzt und vermittelt. Weiter institutionalisiert ist der Austausch durch das gegenseitige Vertreten in den beratenden Gremien, also den Fachbeiräten. International anerkannt wird die enge Zusammenarbeit beider Parks durch das Transboundery-Zertifikat der EUROPARC Federation, eines von Europas wichtigsten Naturschutz-Gütesiegeln.
Weil nicht nur Nationalparkbeschäftigte, sondern auch Besucher immer öfter die Grenzen überschreiten, kommt der gegenseitigen Information im Gelände eine immer höhere Bedeutung zu. Dafür unternehmen die Ranger beider Parks regelmäßig gemeinsame sowie aufeinander abgestimmte Streifen. So kann zum Beispiel im Winter und Frühjahr das beidseits der Grenzen geltende Wegegebot zum Schutz der bedrohten Auerhühner effektiver kontrolliert werden. Im Team präsent sind beide Nationalparkwachten aber auch bei Infoständen, Führungen oder Tagungen. Flankiert werden diese Maßnahmen durch zweisprachige Infos im Internet sowie gemeinsame Aktionen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit.
Ein regelmäßiger Austausch zwischen den beiden Nationalparkleitern Pavel Hubený (von links) und Franz Leibl sowie ihren Mitarbeitern ist Grundlage für die stetig intensiver werdende Kooperation. (Foto: Gregor Wolf/Nationalpark Bayerischer Wald)
„Unersetzliches Gebiet wilder Natur im Herzen Europas“
All die gemeinsamen Aktivitäten sollen auch in Zukunft noch intensiviert werden, wie Leibl und Hubený unisono betonen. „Unser langfristiges Ziel ist es, dass sich beide Nationalparks als großes, in seiner Bedeutung unersetzliches Gebiet wilder Natur im Herzen Europas etablieren“, so die beiden Nationalparkleiter. „Nicht nur als Lebensraum seltenerer Tiere, Pflanzen und Pilze“, so Leibl, sondern – wie Hubený ergänzt – auch „als einzigartige Attraktion für Besucher und Quelle des Stolzes für Einheimische“.
Und so sind auch für 2022 bereits neue gemeinsame Ziele festgezurrt. Beispielswiese soll das Monitoring der grenzüberschreitend lebenden Auerhuhn-Population wiederholt werden, um zu erfahren, ob etablierte Schutzmechanismen ausreichend sind, um den Tieren langfristig das Überleben zu sichern. Zudem laufen die Vorbereitungen für eine Neuaufstellung der Dauerausstellung im Hans-Eisenmann-Haus. Dafür werden aktuell Möglichkeiten auf tschechischer Seite eruiert, wie ein dortiges Spiegelprojekt aussehen könnte. Zusammen soll nämlich abermals ein Antrag auf EU-Fördermittel aus dem Interreg-Programm gestellt werden. Damit Europas wildes Herz weiter zusammenarbeiten kann.