Die Umstellung der weltweiten Energieversorgung auf 100 % Erneuerbare Energien sollte zentrale friedenspolitische Maßnahme sein

von Hans-Josef Fell, Präsident der Energy Watch Group

Die UN hat anlässlich ihres 75-jährigen Bestehens eine „New Agenda for Peace“ initiiert, um strategische Risiken zu reduzieren, mit präventiven Investitionen Krieg zu verhindern und Frieden zu stabilisieren. Während des Konsultationsprozesses für die Zivilgesellschaft habe ich als Präsident der Energy Watch Group und Botschafter der 100 % Global Renewable Energy  Strategy Group folgenden Kommentar eingereicht:

Der Global Peace Index zeigt seit Jahrzehnten, dass sich Kriegsgebiete weltweit mit den Orten überschneiden, an denen die Energierohstoffe Uran, Kohle, Erdöl und Erdgas gefunden, gefördert oder transportiert werden. Energieressourcen waren schon immer ein wichtiger Auslöser, Katalysator und unterstützender Faktor in internationalen Kriegen und Bürgerkriegen. Prominentes Beispiel ist das massive militärische Engagement der USA in der Golfregion, etwa der Irak-Krieg unter der Bush-Regierung im Jahr 2002, der sich auf amerikanische Energieinteressen zurückführen lässt.

Russland hat die Abhängigkeit anderer Länder von seinen Energieressourcen als strategische „Waffe“ eingesetzt. Nach dem Vorbild des Jom-Kippur-Krieges von 1973 – in dem die OPEC der Welt den Ölhahn zudrehte, um die Vernichtung Israels zu fördern – hat Putin die Abhängigkeit Europas von Erdgas, Erdöl, Kohle und Atomenergie genutzt, um den Krieg gegen die Ukraine zu finanzieren und gleichzeitig europäische Demokratien zu destabilisieren.

Fossile und atomare Rohstoffe finanzieren Unrechtsregime

Viele Unrechtsregime finanzieren ihre Kriegs- und Terroraktivitäten mit den Einnahmen aus fossilen und atomaren Rohstoffen und deren Technologien: Russland, Iran, Irak, Syrien, Venezuela, Saudi-Arabien und andere Golfstaaten, insbesondere Katar. Auch Bürgerkriege werden um den Zugang zu fossilen und atomaren Lagerstätten geführt und mit den Einnahmen aus Rohstoffquellen finanziert, etwa im Sudan, in Nigeria oder in Kolumbien. Weltweit wird der Lebensraum indigener Gruppen durch die Förderung von Uran, Kohle, Öl und Gas und die Errichtung fossiler Infrastrukturen wie Pipelines zerstört: bei den Aborigines in Australien, den Ureinwohnern Nordamerikas und Kolumbiens, indigenen Völkern in Nordafrika oder den Sorben in Deutschland. Auch bei Infrastrukturprojekten für fossile Brennstoffe in Kanada und den USA kam es zu gewaltsamen Übergriffen auf die Territorien indigener Völker. Diese Konflikte tragen nicht nur zu Gewalt bei, sondern auch zum Verlust intakter Bioregionen, was die Todesspirale aus Klimawandel, Verlust der biologischen Vielfalt und Verknappung der natürlichen Ressourcen als Ursache für gewaltsame Konflikte weiter antreibt.

Es gibt keine friedliche Atomkraft ohne Atomwaffenaufrüstung

Nicht nur hohe Einnahmen aus fossilen Energien erlauben es Staaten wie Russland, in die Aufrüstung großer Waffenarsenale zu investieren. Insbesondere die sogenannte „friedliche Atomenergie“ ist ein Treiber der atomaren Bedrohung. Bereits 1952 hat US-Präsidenten Dwight Eisenhower das Programm „Atoms for Peace“ als Tarnkappe für die Entwicklung von Atomwaffen eingeführt. Über Jahrzehnte haben zahlreiche Staaten nur über die energetische Nutzung von Atomkraft ihren Atomwaffenstatus aufbauen können: die USA, China, Indien, Russland, Frankreich, Großbritannien, Pakistan und Nordkorea. Dies gilt auch für die Forschung an der Kernfusion mit dem angeblichen „Durchbruch“ in der Laserfusionsforschung. Auch diese hat ihre Wurzeln in der militärischen Atomwaffenentwicklung. Mit Laserfusion wird angestrebt, Wasserstoffbomben ohne die Zündung mit einer Atombombe entwickeln zu können. Eine der wichtigsten Maßnahmen, um dem UN-Ziel einer atomwaffenfreien Welt näher zu kommen, muss also die Beendigung der zivilen Nutzung der Atomenergie sein. So würde die wichtigste Quelle für atomares Waffenmaterial ausgetrocknet. Es gibt eine systemische Lösung sowohl für die kriegstreibende Nutzung von Uran als auch für die fossilen Rohstoffe Erdgas, Erdöl und Kohle. Eine Lösung, die die Ursache für geopolitische Konflikte um fossile und nukleare Rohstoffe gänzlich beseitigt:

100 % Erneuerbare Energien.

Die Erneuerbaren Energien mit dem Schwerpunkt Solar- und Windenergie sind friedenspolitisch die wichtigste Umstellung der Weltgemeinschaft auf dem Weg zum Frieden. Es ist per se undenkbar, um Sonne und Windenergie Kriege zu führen. Diese Energieressourcen sind die Befreiung von den nuklear und fossil angetriebenen Formen des Krieges, solange man Folgendes bedenkt: Aus Gründen der Energiesicherheit muss ein vielfältiger Mix aus Erneuerbaren Energien wie Geothermie, Wasserkraft, Meeresenergie und Bioenergie die meteorologischen Schwankungen der Solar- und Windenergie ausgleichen. Dezentrale, breit verfügbare Energiequellen wie Geothermie und Meeresenergie können wie Solar- und Windenergie als friedensstiftend bewertet werden. Insbesondere bei der Wasserkraft müssen jedoch friedenspolitische Aspekte beachtet werden: Große Staudämme an Oberläufen von Flüssen dürfen Anrainerstaaten am Unterlauf nicht das Wasser für wegnehmen (Euphrat und Tigris Türkei, Syrien, Irak). Auch bei der Bioenergie darf es keine Kämpfe um die notwendigen landwirtschaftlichen Flächen geben. Hier müssen friedenspolitische Regularien gesetzt werden.

Erneuerbaren Energien gehört die Zukunft

Die technologische Entwicklung der Erneuerbaren Energien in Verbindung mit den notwendigen Speichertechnologien hat in den letzten Jahrzehnten eine rasante Entwicklung genommen. Inzwischen hat Costa Rica eine Vollversorgung mit 100 % Erneuerbaren Energien im Stromsektor bereits verwirklicht. Andere Länder stehen im Stromsektor nah davor. Auch ganze Dörfer und Städte zeigen auf, dass eine Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien in allen Energiesektoren möglich ist. Die Erneuerbaren sind inzwischen die billigste Art der Energieerzeugung geworden und damit auch ökonomisch wesentlich sinnvoller als die weitere Nutzung fossiler und atomarer Energien. Historische Technikrevolutionen wie etwa die Umstellung im Verkehrssektor von Pferdekutschen auf Autos oder die Durchdringung der Welt mit Mobilfunk oder Personal Computern zeigen: Durch exponentielles Wachstum durchdringen neue Technologien innerhalb einer Dekade globale Märkte und krempeln sie vollständig um.

Die Energierevolution ist Friedenssicherung

Die Umstellung auf 100 % Erneuerbare Energien ist nichts anders als eine solche Technikrevolution, die, wenn sie nicht von den fossilen und atomaren Energieinteresse wie in den letzten 30 Jahren behindert wird, in ähnlicher Geschwindigkeit wie andere Technologien vollständig umgesetzt werden kann.  Die weltweit führenden Forscher:innen haben längst aufgezeigt, dass es technologisch und wirtschaftlich möglich ist, global bis 2035 in allen Energiesektoren auf 100 % Erneuerbare Energien umzustellen. Die einzig notwendige Bedingung dafür ist der klare politische Wille aller beteiligten internationalen und nationalen Entscheidungsträger:innen, der regionalen, kommunalen Regierungen und Bürgermeister:innen. Die friedenspolitisch wichtigste Maßnahme – die Umstellung auf 100 % Erneuerbare Energien – ist machbar, ökonomisch vorteilhaft und kann in 10 Jahren eine jahrzehntelange Ära der Kriege um fossile und atomare Energien beenden. Darum sollte die UN diese Maßnahme in den Mittelpunkt ihrer Friedensoffensive stellen.

PS: Das Titelbild wurde von einer KI generiert (Pixabay/dlsdkcgl)

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